250-jährige Erfolgsstory:
250-jährige Erfolgsstory:
Impfen historisch betrachtet

Von Pocken bis Corona: Die Geschichte der Impfung

In Österreich begann die Erfolgsstory der Impfung mit Maria Theresia. Seit mehr als 250 Jahren stellt sich die Frage: Impfen lassen oder nicht? Viele Krankheiten können mittlerweile verhindert werden. Andere wurden komplett ausgerottet. Nicht verschwunden sind manche Vorurteile. 

Wien im Jahr 1767: Kaiserin Maria Theresia erkrankt an Pocken. Sie überlebt, wenn auch durch Narben entstellt. Anders als ihre Tochter Josefa und die beiden ersten Ehefrauen ihres Sohnes Joseph II. – sie sterben wie Tausende andere. Geprägt durch diese schmerzvollen Erfahrungen, förderte Maria Theresia die (damals) moderne Medizin. Sie holte den holländischen Arzt Jan ­Ingen-Housz an den Hof, der die erste Pockenimpfung nach Wien brachte, die Va­ri­o­la­ti­on.

Eine riskante Methode, bei der Eiter von leicht erkrankten Menschen zur Immunisierung verwendet wurde. Etwa zwei von hundert starben. Angesichts einer Todesrate von 30 Prozent bei ungeimpft Erkrankten überzeugte Maria Theresia ihre erwach­senen Kinder und viele weitere Verwandte, sich impfen zu lassen. Sie ließ auch für die Wiener Bevölkerung ein Inokulationshaus errichten. Von einem Sieg über die Krankheit konnte aber noch keine Rede sein: Wien wurde zwischen 1777 und 1800 von acht Pockenepidemien heimgesucht, die Blattern – wie die Pocken auch genannt werden – verursachten 18 Prozent der jährlichen Todesfälle.

Die Kuh als Helfer

Die entscheidende Verbesserung gelang dem englischen Arzt Edward Jenner. Er hatte beobachtet, dass Mägde auf Bauernhöfen kaum an Pocken erkrankten, und zog die richtige Schlussfolgerung: Beim Melken der Kühe hatten sie sich mit Kuhpocken angesteckt. Diese Krankheit ist für Menschen weniger gefährlich, macht aber auch gegen Pocken immun. Abgeleitet von „vacca“, dem lateinischen Wort für „Kuh“, nannte er die Impfung mit Kuhpockeneiter „vaccination“, die bis heute im Englischen übliche ­Bezeichnung. Impfstoffe heißen in der medizinischen Fachsprache „Vakzine“.

„Halt still, es ist nur ein kleiner Ritzer“, soll Jenner zu dem achtjährigen Buben gesagt haben, der sein erster Patient, aus heutiger Sicht würden wir sagen „Versuchskaninchen“, war. Die Impfung zeigte den erhofften Erfolg. Unumstritten war die Methode deshalb nicht. Zeitungen druckten Karikaturen, in denen sich Menschen nach der Impfung in Kühe verwandelten, die Kirche nannte sie gottlos. Wegen ihrer offensichtlich großartigen Wirkung setzte sich die „vaccination“ aber schnell durch, auch ­außerhalb Englands. Der amerikanische Präsident Thomas Jefferson war voll des Lobes: „Die Medizin hat nie zuvor eine einzelne Entwicklung von so großem Nutzen geschaffen.“ Napoleon verlieh Jenner eine Ehrenmedaille – obwohl sich Frankreich im Krieg gegen England befand.

Schnelle Erfolge der Impfung und ein Rückschlag

Nach Österreich brachte vermutlich der steirische Arzt Johann Peintinger die Pockenimpfung, mit der er 1798 begann. 1800 wurde in Brunn am Gebirge die erste öffentliche Massenimpfung durchgeführt. Zahlreiche Impfstellen wurden eingerichtet und die „Vorschrift zur Leitung und Ausübung der Kuhpocken-Impfung“ regelte erstmals Ablauf und Organisation der Impfung. In der Folge gingen die Todesfälle durch Pocken schlagartig zurück, Impfskepsis in Teilen der Bevölkerung, vor allem bei einfachen Leuten auf dem Land, verhinderte aber die Ausrottung der Krankheit.

Die Grazer Sanitätskommission schlug deshalb vor, Väter, die ihre Kinder impfen lassen, mit Geld oder einer goldenen Medaille zu belohnen. Zur Impfmüdigkeit trug auch bei, dass die nächsten Ausbrüche recht glimpflich verliefen. Das änderte sich mit einer Pandemie im Zuge des deutsch-franzö­sischen Kriegs. 1872 erreichte die Epidemie Wien. Von etwa 20.000 Erkrankten starben im selben Jahr mehr als 3.000, bei einer Nachepidemie ein Jahr später noch einmal knapp 1.500. Anders als im Deutschen Reich wurde in Österreich keine generelle Impfpflicht eingeführt. Für den Schulbesuch war sie allerdings (zumindest theoretisch) Voraussetzung, auch Grundwehrdiener wurden verpflichtend geimpft. Die letzten Todesfälle in Österreich gab es 1923. Seit etwa 1980 gelten die Pocken weltweit als ausgerottet. 

Krankheiten verlieren ihren Schrecken

Seit Jenners Zeiten wurde das Prinzip der Kuhpockenimpfung weiterentwickelt. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen Impfungen mit abgetöteten (Totimpfstoffen) oder abgeschwächten (Lebendimpfstoffen) Krankheitserregern. In beiden Fällen regen diese das Immunsystem dazu an, Abwehrstoffe gegen den eigentlichen Krankheitserreger zu bilden. Noch im 19. Jahrhundert wurden damit Impfungen gegen Pest und Cholera entwickelt. Zwei Krankheiten, die zumindest in Europa wegen besserer Lebensbedingungen und Zugang zu sauberem Trinkwasser ihren Schrecken weitgehend verloren haben. In Wien gab es 1873 die letzte Choleraepidemie.

Anders sah es bei Kinderlähmung (Polio) und Masern aus. Seit 1900 kam es immer wieder zu Ausbrüchen, 1947 wurde ein weltweiter Höhepunkt erreicht. Die ersten Symptome ähnelten einer Erkältung, diese verschwanden, die Krankheit konnte aber mit einer Lähmung wieder auftauchen. „Bis heute gibt es kein spezifisches Heilmittel gegen die Kinderlähmung, jedoch bestehen seit Mitte der 1950er-Jahre effektive Impfungen, die eine Immunisierung der Bevölkerung gegen Kinderlähmung ermöglichen“, sagt die Historikerin Marina Hilber von der Universität Innsbruck, die dazu geforscht hat. In Österreich wurde ab 1961 flächendeckend geimpft. Ironischerweise mit einem in den USA entwickelten Impfstoff, der über den damaligen Ostblock nach Österreich kam.

Für die meisten Kinder war es wohl die liebste Impfung, wurde sie doch nicht mit der Spritze, sondern als Schluckimpfung mit einem Zuckerstück verabreicht. Das Ergebnis war eindeutig: Erkrankten zwischen 1946 und 1961 noch über 12.000 Menschen, von denen fast 1.500 starben, gab es seither nur mehr einzelne Krankheitsfälle. Gegen Masern wird seit den 1970er-Jahren geimpft. Mit großem Erfolg, der in den letzten Jahren durch zunehmende Impfskepsis wieder gefährdet ist. Aufbauend auf den Erfahrungen und medizinischen Erkenntnissen, werden vom Gesundheitsministerium empfohlene Impfungen im Kindesalter seit 1973 im Mutter-Kind-Pass eingetragen. Seit 1984 werden vom Gesundheitsressort auf Empfehlung des Obersten Sanitätsrats Impfpläne veröffentlicht. 

Neue Impfung, alte Vorurteile

Die Geschichte der Impfungen zeigt: Viele der aktuellen Diskus­sionen um die Corona-Impfung sind nicht neu, sie ähneln sehr stark etwa jenen um die Pockenimpfung. Abgesehen von vielen abstrusen ­Behauptungen, sind gegen die Corona-Impfung häufig zwei Bedenken zu hören, die auf den ersten Blick nachvollziehbar wirken: die ­rasche Zulassung der Impfung all­gemein und die neuartigen RNA-Impfstoffe. „Es gab schon vor der Corona-Zeit eine Reihe von Studien zu RNA-Impfstoffen, und das ist der Grund, warum so rasch zugelassen werden konnte. Viele Grund­lagen waren schon vorhanden“, sagt Michael Binder, der medizinische Direktor des Wiener Gesundheitsverbunds.

Ein Hauptgrund für die Geschwindigkeit sind die unglaublichen Ressourcen, die in die Entwicklung ­eines Impfstoffs gesteckt werden. Derzeit laufen laut WHO 237 Impfstoffprojekte, davon haben nur wenige die Phase III und in weiterer Folge die Zulassung erreicht. Viele benötigen mehr Zeit und manche sind gescheitert, darunter mit Merck einer der weltweit größten Pharmakonzerne. Ein weiterer Grund für die Schnelligkeit ist das Verfahren des „Rolling Review“. Der Zulassungsprozess beginnt nicht erst, wenn alle Daten vorhanden sind, sondern sie können im laufenden Verfahren nachgereicht werden. Am Ende müssen aber jedenfalls alle Daten vorhanden und stichhaltig sein. Kurz gesagt, alle in Europa zugelassenen Corona-Impfstoffe sind genauso streng geprüft worden wie alle anderen Medikamente. Und diese Überprüfungen sind heute strenger, als sie es noch vor 50 oder 60 Jahren waren.

Ein Bild aus Wien-Favoriten geht um die Welt

Um den Jahreswechsel wurden in Österreich die ersten Menschen gegen COVID-19, wie die von Coronaviren verursachte Erkrankung heißt, geimpft. Zuerst kamen Bewohner von Pflegeheimen, medizinisches und Pflegepersonal an die Reihe. ­Einer der Ersten war Christoph ­Wenisch, Leiter der Infektionsabteilung der Klinik Favoriten. Das Foto, auf dem er nach der Impfung freudig den Arm hochstreckt, ging um die Welt, schaffte es sogar in die New York Times. Wenisch führt seit seiner Impfung ein Videotagebuch, in dem er in Abständen von ein paar Tagen schildert, wie es ihm geht. Kurz ­zusammengefasst: hervorragend. Nach der ersten Dosis verspürte er praktisch keine Nebenwirkungen, auch nach der zweiten waren sie sehr gering, wie er zwei Tage danach berichtet – von seiner morgendlichen Joggingrunde. Geschwindigkeit und Herzfrequenz sind wie immer, berichtet er. „Ich habe überhaupt keinen Effekt auf die Leistungsfähigkeit, was die Impfung betrifft. Aber die Schmerzen im Bereich des rechten Oberarms sind deutlich mehr als bei der ersten Impfung.“ 

Solche kleinen Beschwerden, oft auch Müdigkeit, leichte Kopfschmerzen und vielleicht sogar Fieber sind nicht beunruhigend. „Eine Impfung ist kein ‚Hustenzuckerl‘. Wir müssen bei den COVID-19-Impfungen mit einer Wahrscheinlichkeit von geschätzten neunzig Prozent damit rechnen, dass wir davon auch etwas merken werden“, sagt Herwig Kollaritsch. Der Infektologe hat Antworten auf drängende Fragen zur Corona-Impfung in einem Buch zusammengefasst und geht dabei auch auf Gegenargumente ein. „Der entscheidende Unterschied zwischen dem durch eine Impfung im Körper hervorgerufenen Vorgang und dem natürlichen besteht nun darin, dass eine Impfung unter kontrollierten, nicht krankheitsauslösenden Bedingungen abläuft.“ Es geht letztlich immer um eine Abwägung zwischen den Risiken der Impfung und der Erkrankung. Kollaritschs Resümee – zuletzt in einem Livestream, den 10.000 Ärzte mitverfolgten – ist ­eindeutig: „Um einen COVID-19-­Erkrankungsfall zu verhindern, muss man nur vier bis fünf Personen impfen. Um einen Todesfall zu verhindern, müssten 440 Personen immunisiert werden, bei alten Menschen nur 56 Personen.“

Impfung durch die Nase

Vielleicht ist für die Impfung bald nicht einmal mehr unbedingt eine Spritze notwendig: Zumindest in Tierversuchen konnte schon gezeigt werden, dass es möglich ist, den Corona-Impfstoff statt mit einer Nadel mittels Nasenspray zu verabreichen. Mit zwei Impfdosen wurde eine schützende Immunreaktion erzeugt. Der Impfstoff ist kostengünstig herzustellen und einfach in der Anwendung. Ein weiterer Vorteil: Die damit behandelten Mäuse gaben keine Viren mehr ab, der Impfstoff könnte also Ansteckungen verhindern. Er wäre auch hilfreich für Menschen, die an Angst vor Nadeln leiden oder Probleme bei der Blutgerinnung haben. Ganz neu ist das Prinzip nicht, ein Grippe-Impfstoff als Nasenspray ist bereits zugelassen.

Dem Virus die Tür verschließen – das Penninger-Medikament

Aber auch wenn sehr viele Menschen geimpft sind, ausrotten wird sich das Coronavirus nicht lassen. Deshalb ist es wichtig, auch Medikamente zu entwickeln, die schwere Krankheitsverläufe verhindern. Einen der vielversprechendsten Ansätze verfolgt der Österreicher Josef Penninger, Professor an der University of British Columbia. Er ist Gründer von Apeiron und Miterfinder des Medikaments APN01. „Unsere Erkenntnisse aus der ersten SARS-Epidemie und jüngste Forschungsergebnisse haben ACE2 als Eingangstür für beide Coronaviren, SARS-CoV-1 und SARS-CoV-2, zur Infektion menschlicher Zellen identifiziert. Die neuen Patientendaten stützen die Fähigkeit von APN01, dem Virus die Tür zu verschließen.“

Noch einen Vorteil hat das Medikament, so Penninger: „Im Gegensatz zu praktisch allen anderen Medikamentenkandidaten zeichnet sich APN01 durch eine doppelte Wirkung aus: Es blockiert das Virus und kann über seine Enzymfunktion die Lunge, die Blutgefäße und das Herz vor Verletzungen schützen.“ Damit wird die Überreaktion des Immunsystems verhindert, die Corona so unberechenbar macht, weil sie zu ­lebensbedrohlichen Entzündungen führen kann. COVID wird zu einer behandelbaren Krankheit. Hoffnung macht auch der Zeitplan: Noch im ersten Quartal wird mit dem Antrag auf Marktzulassung gerechnet. Damit sollte es noch vor dem Sommer eine zweite Trumpfkarte gegen Corona geben.