Offen, mutig, radikal
Offen, mutig, radikal
Schauspielerin Verena Altenberger

Raus aus der Comfort-Zone

Ob in der Rolle der polnischen Altenpflegerin, heroinsüchtigen Mutter und strengen Polizistin oder mit klarer Meinung zu brisanten Themen: Die Pongauerin Verena Altenberger überzeugt schauspielerisch und menschlich auf ganzer Linie. Im Sommer wartet die Buhlschaft beim „Jedermann“. Ein Gespräch über Haare, Kindheitstraum und die Gesellschaft.

Sie sorgt seit geraumer Zeit regelmäßig in TV- und Kinoproduk­tionen im deutschsprachigen Raum für Furore. Verena Altenberger (33) ist eine der gefragtesten österreichischen Schauspielerinnen. Obwohl es zu Beginn nichts mit dem klassischen Weg über das Max-Reinhardt-Seminar wurde, erfüllte sich ihr Traum, Schauspielerin zu werden, letztendlich. Gott sei Dank, kann man sagen. Für schau hat sich die sympathische Salzburgerin Zeit für ein Video-Interview genommen.

schau: Verena, der Sommer steht vor der Tür. Wie geht es dir? Spürst du schon ein bisschen Nervosität im Vorfeld der Salzburger Festspiele? Konnte schon geprobt werden?

Verena Altenberger: So viele Fragen in einer (lacht). Mir geht es ausgezeichnet, ich bin vor Kurzem mit den Dreharbeiten für meinen aktuellen Kinofilm fertig geworden. Seit Mitte Juni stehen nun die ersten offiziellen Proben für die Salzburger Festspiele auf der Agenda. Ich freue mich schon sehr darauf, die Nervosität kommt und geht in Wellen …

Weil du gerade dein abgedrehtes Filmprojekt erwähnt hast, gleich zu deiner „kleinen“ optischen Veränderung: Wo sind denn deine Haare hin?

Verena Altenberger: Weg! Das ist eben diesem erwähnten Film geschuldet. Das Ganze ist ein österreichisches Kinodebüt, von Regisseur Chris Raiber, der auch das Drehbuch geschrieben hat. Es ist eine Liebesgeschichte, die sich im Wiener U-Bahn-Netz zuträgt, ein Drama mit dem Titel „Unter der Haut der Stadt“. Ein Teil des Dramas ist der Krebs meiner Rolle Caro. Und dafür mussten die Haare weg. Ich muss ja dazusagen, jetzt sind sie schon wieder richtig „lang“ (lacht), ein paar Millimeter. Ich hatte ja wirklich eine Spiegelglatze.

Man kennt dich mit dunklen, langen Haaren. Wie war der Moment des Abrasierens für dich?

Verena Altenberger: Es war natürlich schon ein bissl arg, aber erstaunlicherweise dann doch relativ unemotional. Weil als Schauspielerin hat man ein wenig den sogenannten „Schutz der Rolle“. Ich bin es zwar selber, der da die Haare abrasiert werden, aber ich tu es „als“ die Rolle.

Der zweite Grund, warum es eigentlich ganz easy war, ist, dass ich die Themen Liebe und Krebs unglaublich wichtig finde. Es war für mich wie eine Geste des Respekts den Menschen gegenüber, die diese Krankheit kennen.

Und der dritte Grund ist, weil es mich persönlich betrifft. Meine Mutter hatte Krebs und ist daran gestorben. Auch sie hatte durch Chemo etc. eine Glatze und neben dem ganzen Scheiß wie Angst und Einsamkeit musste sie sich auch mit den Blicken auf der Straße auseinandersetzen und hat sich stigmatisiert gefühlt. Aha, warum hat die denn keine Haare?! Sie hat sich damit sehr schwergetan, meist eine Haube oder eine Perücke getragen. Die Krankheit wird in unserer Gesellschaft immer noch sehr stigmatisiert. Am besten wäre, wenn das nicht mehr so ist. Dafür möchte ich mich auch einsetzen. Eine Silikonglatze wäre ja maskenbildnerisch auch möglich gewesen, kam aber für mich nicht infrage.

Es schaut gut aus bei dir, wenn man das sagen darf. Wie waren die Reaktionen – du hast ja auch Fotos davon auf deinen Social-Media-Kanälen geteilt?

Verena Altenberger: Selbst wenn es nicht gut ausschauen würde, muss es okay sein! Als ich es sagen durfte, von der Film-PR her, hab ich es auf Social Media geteilt. Die Kommentare waren durchwegs positiv, bis auf ein paar wenige ­entbehrliche, die aber verkraftbar waren. Und sonst so im echten Leben kommen erstaunlich wenige Reaktionen. Viele gehen selbstverständlich damit um oder verstecken ihre Blicke. Kinder hingegen fragen mich oft: „Warum hast du keine Haare?“

Zum Thema digitale Medien: Wie wichtig ist dir dort Bestätigung und wie gehst du mit Angriffen oder „Hass im Netz“ um?

Verena Altenberger: Grundsätzlich sind mir soziale Medien sehr wichtig, weil ich sie eine spannende Form des In-Kontakt-Tretens finde, und sie sind nun mal zu einem großen Teil unserer Zeit geworden. Ich versuche, möglichst positiv damit umzugehen, sie haben eine Wichtigkeit. Das betrifft aber nicht, wie viele Likes ich da bekomme, sondern es geht eher darum, wie man Diskussionen führen kann. Ich freue mich über positive Kommentare, finde es aber auch spannend, welche negativen Reaktionen kommen. Ich nehme mir relativ viel Zeit für die Kommunikation auf Social Media, also nicht für das Machen eines Posts, der Output passiert schnell, nicht unüberlegt, aber schnell. Aber für die Kommunikation darunter nehme ich mir wirklich Zeit.

Das heißt, du versuchst jeder und jedem zu antworten?

Verena Altenberger: Ja, schon. Ich finde das spannend. Es setzt auch der Anonymisierung etwas entgegen, wenn ich antworte. Also ich habe mehrere Kategorien: Ganz klar ist, purer Bullshit und Hass werden gelöscht. Weil ich keinen Bock habe, auf meiner Plattform – und man bietet ja damit eine Plattform – Hass zu dulden. Das wird gelöscht. Wenn ich denke, das macht Sinn, ein wenig zu diskutieren, dann gehe ich darauf ein.

Hast du Berührungsängste bei gewissen Themen?

Verena Altenberger: Nein, eigentlich nicht. Ich lasse mich gerade auch auf politische Debatten ein. Ich habe Grenzen, die mit meinem persönlichen Umfeld zu tun haben, aber es ist für mich keine Option, unpolitisch zu sein. Mit größerer Bühne geht größere Verantwortung einher. Mir ist es wichtig, mich politisch oder besser gesagt humanistisch zu äußern.

Noch zum Thema Schönheits­ideale auf Instagram und Co. Wie stehst du dazu, gehört das noch mehr hinterfragt?

Verena Altenberger: Schönheitsideale gehören nicht nur hinterfragt, sie gehören demontiert. Ich sehe das auch mit als eine meiner Aufgaben. Natürlich werden professionell retuschierte Bilder von mir gemacht, die mich als Schauspielerin auf der Homepage in ein gutes Licht stellen. Aber ich poste selbst auch viel ungeschminkt. Und jetzt, ich hab ja nicht mal Haare (lacht).

Ich versuche auch aus dieser meiner Comfort-Zone zu kommen. Denn so sehr ich finde, dass Schönheitsideale demontiert gehören, so sehr hänge ich selber darin fest, weil ich so sozialisiert bin. Ich probiere dann, daran zu arbeiten, und poste hin und wieder ein Bild mit Körperbehaarung oder auch ein Foto mit raushängendem Bauch. Aber ich muss dazu immer betonen: Wenn andere Frauen so etwas posten, bekämen die viel mehr Gegenwind. Für mich ist es viel einfacher, dieses Privileg habe ich. Wenn ich aus meiner Comfort-Zone rausgehe, bin ich immer noch in der gesellschaftlichen Comfort-Zone.

Ein wenig Selbstkritik, weil du darin gefangen bist?

Verena Altenberger: Klar, ich versuche die Schönheitsideale nicht wichtig zu nehmen, doch es passiert. Ich denke über mein Gewicht nach. Ich möchte, dass die Jeans mir immer gut passen.

Weil du die Gesellschaft angesprochen hast: Auf deinem Twitter-Profil steht zum Beispiel „Frau sein hat mich radikalisiert“. Ist das genau so gemeint?

Verena Altenberger: Ein Tweet mit einer gewissen Zeichenlänge muss natürlich pointiert und schlagfertig sein. Aber ja, alles Negative, das mir in meinem Leben passiert ist, ist mir aufgrund meines Frauseins passiert. Jede Form von Diskriminierung, Ungleichberechtigung, Sexualisierung hat damit zu tun. Und was macht einen radikal oder wütend? Eben das. Und das ist gemeint mit „Frau sein hat mich radikalisiert“.

Machen wir einen Schwenk zur Buhlschaft. Du bist die erste Salzburgerin, die diese Rolle spielen darf. Ein Kindheitstraum?

Verena Altenberger: Jemand, der in Salzburg aufwächst, und noch dazu schon immer vom Schauspiel träumt, kommt natürlich immer mit dem „Jedermann“ in Berührung. Das ist wie die Karotte vor der Nase. Also ja, damit ist wirklich ein Traum in Erfüllung gegangen.

Lars Eidinger ist als Jedermann dein Bühnenpartner. Wie ist das Zusammenspiel mit ihm?

Verena Altenberger: Exzellent, wir haben gemeinsam ein dysfunktionales Ehepaar in David Schalkos „M – Eine Stadt sucht ihren Mörder“ gespielt. Daher kenn ich den Lars und ich schätze ihn sehr. Ich freue mich sehr auf die ­Zusammenarbeit, die sicher auch in Salzburg bestens wird.

Kommen wir zu deiner Film­karriere. Wie aktuell mit dem Abrasieren der Haare gehst du für deine Rollen oft „all in“. Für deine Figur als drogensüchtige Mutter in „Die beste aller Welten“ hast du dich auch akribisch vorbereitet. Du hast Kontakt zu einer Wohngemeinschaft von Suchtkranken gehabt, eine prägende Erfahrung?

Verena Altenberger: Ja, auf jeden Fall. Mir ist nicht Realismus im Film wichtig, aber Realismus in der Vorbereitung. Es war mir und auch Adrian Goiginger, dem Regisseur, dessen eigene Geschichte in dem Film ja erzählt wird, total wichtig, dass der Film realistisch zeigt, was Drogensucht ist. Der nicht sagt, Drogen sind cool, aber auch nicht sagt, alle Drogensüchtigen sind grauslich, sondern wie schwer Sucht ist, wo sie herkommt, wie mit ihr umgegangen wird. Dafür war es wichtig, den Alltag zu verstehen.

Ich habe viel Zeit gehabt, mich vorzubereiten mit Ärztinnen, Suchthilfeorganisationen und Ex-Junkies. Dadurch habe ich Kontakt zu der WG bekommen und ich war immer wieder zu Besuch in der Wohnung. Die Menschen dort haben mir irrsinnig viel Vertrauen ­entgegengebracht. Und ich durfte beobachten, was es heißt, drogensüchtig zu sein – mit allen Highs und Lows und vor allem mit allem zwischen diesen beiden Extremen. Viele haben ja nur eine ungefähre Vorstellung davon, was Drogensucht heißt.

Was sind Grundvoraussetzungen, um sich so auf ein Thema einzulassen?

Verena Altenberger: Es ist Offenheit gepaart mit Neugier. Das Zweite, was man braucht, ist Empathie. Also nachempfinden können, wie es Menschen in anderen Situationen geht, was sie fühlen. Und das Dritte ist emotionales Verständnis. Wenn ich ein Drehbuch das erste Mal lese, muss ich auf Anhieb verstehen bzw. es muss in mir einen Anklang finden, warum diese Person so handelt. Ich sehe mich da als eine Art „Anwältin der Rolle“.

Für die Rolle in „Die beste aller Welten“ gab es auch eine Auszeichnung. Welchen Wert misst du solchen Preisen zu?

Verena Altenberger: Das hat für mich einen hohen Stellenwert. Nicht in dem Sinne, dass ich beim Zusagen einer Rolle daran denke: „Uh, das könnte eine Auszeichnung bringen“. Aber ich mache einfach gerne Dinge gut. Und das ist eine schöne Form der Anerkennung. Gerade „Leistungen“ im Kunst- und Kulturbereich sind ja nicht messbar. Und gerade am Anfang von meiner Karriere war das ­irgendwie wie ein amtliches Güte­siegel. So auf die Art: „Ja, die wird schon irgendwas können“ (lacht).

War der Weg zur Schauspielerin eigentlich vorgezeichnet?

Verena Altenberger: Ja, ich wollte wirklich schon immer Schauspielerin werden, aber es ist unheimlich schwierig für mich zu ­erklären, woher das kam. Meine Mama hat erzählt, dass ich das mit vier oder fünf Jahren schon geäußert habe, und das ist dann geblieben. Ich glaube, dass ich immer schon eine große Sehnsucht nach Lebendigkeit hatte. Was ich so liebe an dem Beruf, ist die große Freiheit, das Welt- und Menschenentdecken. Für mich hat eine Schauspielerin auch noch immer etwas vom Hofnarren von früher. Es ist ein bissl egaler, was man anzieht. Es ist ein bissl egaler, wie man lebt, wie man sich gibt.

Viel unterwegs in der Welt: Wo fühlst du dich zu Hause?

Verena Altenberger: Das ist ein bisschen undifferenziert. Ich sage immer, meine Wohnung lebt in Wien (lacht). Das ist so eine Art Homebase. Im ersten Lockdown im letzten Jahr war ich viel in der Wohnung, aber es kommt auch vor, dass sie mich lange nicht sieht. Ich sage immer, ich komme aus Salzburg bzw. dem Pongau. Fast meine ganze Familie wohnt noch im Gasteinertal. Für mich gibt es dieses, aber auch andere Zuhause.

Bei deinem Lebenslauf sind mir noch ein paar interessante Dinge aufgefallen. Neben den vielen Sprachen stechen unter anderem Bauchtanz, Burlesque, aber vor allem auch der Waffenführschein ins Auge. Die Lizenz zum Schießen für den Beruf?

Verena Altenberger: Manches ist für den Beruf dazu­gekommen, manches ist dem Aufwachsen im Dorf bzw. der Kleinstadt geschuldet. Den Waffenführschein hab ich tatsächlich für das Casting der ORF-Serie „CopStories“ gemacht, obwohl ich dann eine Prostituierte gespielt habe. Gecastet wurde ich als Kommissarin und deshalb dachte ich mir, machst du den Waffenführschein, damit du ein Stückchen Alltag deiner möglichen Rolle nacherleben kannst. Privat bin ich absolut gegen Waffen und würde mir nie eine anschaffen. Aber als Schauspielerin kann man das immer wieder brauchen, denn in vielen Rollen kann man diese Erfahrung brauchen. Und auf Kirtagen bei Schießständen. Da hol ich mir easy den großen Bären (lacht).

Abschließend noch eine kurze Frage: Buhlschaft mit Perücke oder Glatze?

Verena Altenberger: Wenn’s nach mir geht: Glatze!

Wir freuen uns darauf! Vielen Dank für das Gespräch.

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