Thomas Spitzer: Wir wünschen EAVliche Weihnachten!
Statt „Ba-Ba-Banküberfall“ heißt es nun „Wei-Wei-Weihnachten“: EAV-Gründer und Musik-Urgestein Thomas Spitzer hat sich mit dem ersten Weihnachtsalbum der EAV, das gleichzeitig das letzte Projekt der Band ist, einen lang gehegten Herzenswunsch erfüllt.
Noch ist von weihnachtlicher Stimmung nicht allzu viel zu spüren, als wir uns mit Thomas Spitzer zum Interview-Termin in einem Wiener Hotel treffen. Das ändert sich schlagartig, als der 68-Jährige die Hotelbar, die an diesem Tag extra für uns geöffnet wurde – Spitzer ist halt Spitzer –, die Szene betritt. Zum einen, weil er stolz die Vinyl-Version des neuen EAV-Weihnachtsalbums „Ihr Sünderlein kommet!“ unterm Arm trägt. Zum anderen, weil er trotz charakteristischem Pferdeschwanz, rockiger Lederjacke, Goldringen, Kette und verschmitztem Grinsen ein bisserl wie das Christkind ist, an das auch die Erwachsenen glauben können. Trotz Musiklandschaftverändernder Karriere strahlt Spitzer Bescheidenheit, Offenheit, Selbstironie und Selbstreflexion – und ja Gutherzigkeit – aus. Er liebe Weihnachten, erzählt er überraschend, und überhaupt solle sich die Welt mehr lieb haben. Wenn er frei von der Leber weg spricht, kommt immer noch der smarte Revoluzzer durch, der Spitzer immer schon war und ewig bleiben wird. „Ich bin ein humorvoller Mensch, kein Zyniker“, betont er. Mit dem aktuellen Weihnachtsalbum hat er sich einen Herzenswunsch erfüllt – vor allem deshalb, weil er damit an die Ur-Anfänge der Kultband erinnert. Zum Schluss nochmal zum Anfang zurück, sozusagen.
schau: Ich würde gerne ein bisschen über Weihnachten reden.
Thomas Spitzer: Ich mag Weihnachten an sich sehr gerne. Obwohl ich in jungen Jahren ein ganz böser Bube war und mit Gert Steinbäcker (späterer EAV-Sänger; Anm.) in der Rockgruppe Mephisto in Graz mein Unwesen getrieben habe, war ich bis zum 20. Lebensjahr sehr erpicht darauf, die Bescherung erst dann zu erleben, wenn alles fertig hergerichtet war. Der Baum musste aufgeputzt sein, die Bienenwachskerzen brennen, das Glöcklein ertönen – und erst dann wollte ich das Ergebnis sehen. Auch in Kenia (seit 1992 der Zweitwohnsitz von Spitzer; Anm.) bemühe ich mich, mit Deko Weihnachtsstimmung aufkommen zu lassen. Statt Tannen oder Fichten müssen halt Zweige und Blätter aus dem Dschungel herhalten!
Was Sie an Weihnachten stört …
… ist der Konsumwahn. Nichts ist peinlicher, als kurz vor Jahresende noch schnell die Geschenke umzutauschen. Bei mir ist es ja so: Ich liebe ganz wenige Menschen und hasse als Misanthrop die Menschheit. Den geliebten Menschen schenke ich etwas von mir selbst Gezeichnetes oder etwas anderes, sehr Persönliches. Wobei dieses Jahr werde ich, geküsst von der Altersmilde, wahrscheinlich eine Ausnahme machen: Mein Sohn ist beinahe drei Jahre alt, also werden ein paar Packerl unterm Weihnachtsbaum liegen (lacht). Ganz entkommt man dem Wahnsinn halt doch nicht.
Was nervt Sie an Weihnachten?
Dass sich Nächstenliebe und Kriegspause nur auf 24 Stunden beschränken, anstatt auf das ganze Jahr. Würde ich ans Christkind glauben, würde ich ihm einen Brief schreiben und um langfristigen Frieden bitten. Nicht nur zu Weihnachten ist es wichtig, in sich zu gehen und das Gute im Menschen zu suchen.
Hat die EAV auch mal gemeinsam Weihnachten gefeiert?
In den ersten Jahren haben wir auch am 24. Dezember Konzerte gespielt, da waren wir also gezwungenermaßen zusammen. Einige Weihnachten habe ich natürlich gemeinsam mit Klaus (Eberhartinger; Anm.) verbracht, der ja auch in Kenia lebt und mit dem ich dort ein gemeinsames Studio habe. Zu Weihnachten kam oftmals auch der Ambros vorbei, der ebenso viele Jahre in Kenia gelebt hat. Gemeinsam verbrachten wir nicht nur besinnliche, sondern auch trinkfeste Weihnachten.
Die Idee des aktuellen Weihnachtsalbums geht bis zu den Bandanfängen zurück.
1979 sind wir mit anarchischen Weihnachtsshows durch die alternative Clubszene in Österreich und Deutschland getingelt und haben für jede Menge Aufsehen gesorgt. In Bayern bekamen wir sogar Auftrittsverbot. Es war die Zeit, in der der EAV prophezeit wurde, dass sie zwar den einen oder anderen Kleinkunstpreis gewinnen, aber keine einzige Platte verkaufen wird. Wir konnten also machen, was wir wollten. Unsere allererste Single war „Ihr Kinderlein kommet (verdammt noch einmal)“ in feinster Drahdiwaberl-Manier und mit der Textzeile „Ich bin der geile Weihnachtsmann!“. Das Lied wurde – eh kloar – von keinem einzigen Sender gespielt (lacht). Ich erinnere mich mit diebischer Freude an diese Zeit. Ich wollte diese Shows unbedingt auf eine Platte bannen. Zwischen 50 und 60 Prozent der Lieder auf dem Album entspringen dem Ur-Bühnenprogramm. Ein EAV-Weihnachtsalbum ist also ein über all die Jahrzehnte gehegter Traum von mir, der nun endlich in Erfüllung ging. Zwar mit 42-jähriger Verspätung, aber manche Dinge brauchen halt ihre Zeit.
Wieso hat es bis zur Veröffentlichung so lange gedauert?
Klaus hat von der Idee wenig gehalten. Verständlich, er war bei den Shows ja auch nicht dabei. Als die EAV unerwartet solch großen Erfolg hatte, geriet das Album in den Hintergrund. 2010 haben wir es nochmal probiert, aber Klaus fand keinen Zugang zu diesem Thema, hatte keine Freude daran. Ich muss ihm aber danken, denn so ist die Zusammenarbeit mit vielen anderen österreichischen Künstlern zustande gekommen, von Willi Resetarits über Paul Pizzera und Christoph Seiler bis hin zu Turbobier, Lemo und Gert Steinbäcker.
Die Texte sind großteils frech und auch nicht immer besinnlich. Wird das Album, ähnlich wie die Shows 1979, für Aufregung sorgen?
Das glaube ich nicht. Damals waren die Shows auf Konsumkritik ausgelegt – ein Thema, das in den 70er-Jahren ohnehin sehr beliebt war. Heute kümmert das keinen mehr. Deshalb habe ich weitergestreute Ideen aufs Album genommen, wie beispielsweise „Vereinsamt“, eines meiner Lieblingsgedichte von Nietzsche. Auch die Kunstfigur „Kuttel Daddeldu“ habe ich am Album weiterverarbeitet. (Überlegt) Mit was willst du denn heute noch aufregen? Als Karikaturist habe ich immer versucht, Politiker zu überzeichnen. Mittlerweile kann man die gar nicht mehr überzeichnen! Beim Album standen ganz einfach der Spaß und die Erfüllung meines Wunsches im Vordergrund.
Ihre Augen leuchten, wenn Sie von den Bandanfängen und den wilden 70er-Jahren erzählen. Trauern Sie dieser Zeit nach?
Es war halt einfach lässig. Wir haben alle noch studiert, die Welt stand uns offen. Ich hätte niemals gedacht, dass ich von meiner Kunst leben kann, dementsprechend bin ich auch locker und entspannt an die Sache rangegangen. Wir hatten niemandem gegenüber Verantwortung zu tragen. Für Freibier und Übernachtungsmöglichkeiten haben wir überall gespielt (lacht).
Und dann kam plötzlich der gigantische Erfolg.
Ich schäme mich für unsere großen Hits nicht, ich habe sie ja selbst geschrieben und gespielt. Und sie brachten gutes Geld ein. Aber der Wermutstropfen war natürlich, dass die EAV bald nur noch auf die berühmte, sehr leicht verdauliche Kost reduziert wurde. Da rutscht man natürlich sehr schnell in eine bestimmte Schublade rein. Wir wurden aus diversen Sendungen wieder ausgeladen, weil wir nicht die Songs spielen durften, die wir eigentlich wollten. Aber es gibt schlimmere Schicksale auf dieser Erde (lacht).Zudem haben uns die letzten Alben wieder zurück auf die Titelseite der Süddeutschen Zeitung gebracht, was mir sehr wichtig war. Als dort zu lesen war, die EAV sei „politischer denn je“, habe ich mit unserer Vergangenheit Frieden geschlossen. Wir haben uns mit Würde und Anstand mit den letzten Alben verabschiedet – und das ist sehr schön.
Stellt die Scheibe ein Comeback der EAV dar?
Nein! Wir haben uns 2019 zu einem sehr günstigen Zeitpunkt verabschiedet. Denn durchs Bierzelt tingeln und die Handvoll Hits spielen, die man hatte – wer will das schon? Das Weihnachtsalbum war noch ausständig und wurde nun abgeliefert, ist aber gleichzeitig auch das letzte Projekt, das unter dem Namen EAV erscheint. Was aber nicht heißen soll, dass sich die Menschheit zu sicher fühlen darf. Das eine oder andere Werk werde ich schon noch abliefern, aber eben nicht als EAV.
Sie bleiben uns also noch lange erhalten?
Solange es meine Leber- und sonstigen Blutwerte zulassen, ist mit mir noch ein Weilchen zu rechnen!
Worüber werden Sie dieses Jahr zu Weihnachten nachdenken und reflektieren?
Dass leider kein Song die Welt verändern kann, wie wir inzwischen wissen. Trotzdem kann man alles, was möglich ist, dazu beitragen, damit die Welt zu einem besseren Ort wird. Zu tun gäbe es genug. Mein Motto: Humor ist das Rettungsboot im Meer des Elends. Humor ist eine Notwendigkeit, um den Ernst der Lage zu überstehen und zu bekämpfen.
Vielen Dank für das Gespräch.
IHR SÜNDERLEIN KOMMET
Das erste Weihnachtsalbum der EAV steht in der Tradition der vor-herigen 18 Studioalben. Humoristischer Nonsens-Pop mischt sich unter makabere Balladen, Rock und Bluesrock sowie weitere mit Wortwitz gespickte und Ironie geschwängerte Songs. Für alle, die nach der etwas anderen musikalischen Weihnachtsuntermalung suchen.