Señor Seat: Interview mit Seat-Chef Wolfgang Wurm

Seit Wolfgang Wurm 2008 die Leitung der Automarke Seat in Österreich übernommen hat, ist die Marke auf Erfolg gebucht. Im schaumotor-Interview mit Stefan Pabeschitz spricht der promovierte Psychologe und zweifache Familienvater über das Menschliche in seinem Beruf, Kontinuität und politische Überheblichkeit.

“In großen Hierachien geht viel Zeit verloren. Bei uns wird immer noch das Meiste in der Teeküche besprochen”, erklärt Wolfgang Wurm. © Adrian Batty/Seat

schau: Seat hält derzeit die Nummer drei in der Zulassungsstatistik und hat seinen Marktanteil im letzten Jahrzehnt mehr als verdreifacht. Kann man so einen Erfolg planen?

Wolfgang Wurm: Weder planen noch erwarten. Am Anfang waren die Aussichten nicht allzu sexy – weder der Importeur noch die Händler sind besonders gut dagestanden. Also gab’s nur die Überlegung, etwas daraus zu machen und in Marke und Vertrieb zu investieren. Der Kunde kauft ja keinen Marktanteil, sondern ein Auto.

Was mochten Sie an der Herausforderung bei Seat?

Seat war mit sehr vielen Freiheiten verbunden. Wir durften auch zu unkonventionellen Mitteln greifen: Etwa haben wir mit den Händlern damals um eine Prämie gewettet, dass sie nicht so und so viele Autos mehr verkaufen. Die Wette haben wir verloren und seitdem zum Glück noch viele.

Vom Selbstläufer VW zum damaligen Underdog Seat – wie hat Ihr Umfeld da reagiert?

Die Marke hat ja anfangs kaum Bekanntheit gehabt. Ein Freund hat mich damals gefragt: „Was, du bist jetzt zu Fiat gegangen?“ Dafür durften wir eben auch spinnerte Sachen machen.

Warum hat Seat ausgerechnet in Österreich den größten Marktanteil außerhalb Spaniens?

Der Kunde in Österreich ist nicht so viel anders als sonstwo in Europa. Ferdinand Piëch hat immer gesagt: „Die Kraft geht vom Produkt aus“ und „Vergesst mir den Kunden nicht“. Das sagt sich schnell, aber in einem großen Konzern den Kunden nicht zu vergessen, ist manchmal schon eine Herausforderung. Der Konsument straft schnell ab.

Sind die italienischen Marken ein direkter Konkurrent von Seat?

Es gab einmal die Losung, so zu werden wie Alfa Romeo. Dann hat sich einer die Ziffern angesehen und festgestellt: Wenn wir so groß werden wie Alfa Romeo, müssen wir die halbe Fabrik zusperren. Das war’s dann doch nicht.

Also ist das Geheimnis des Erfolgs von Seat …?

Die Händler haben immer gewusst, sie dürfen nicht warten, bis zufällig ein Kunde in den Schauraum kommt, sie müssen aktiv verkaufen – und das können sie.

Uns als Importeur zeichnet, glaube ich, die extreme Nähe zum Händler aus. Wir machen gemeinsame Wandertage, sitzen dann irgendwo bei einer Buschenschank, da redet man anders über seine Themen. Wir sind beim Importeur nur ein Team aus 20 Leuten. Dadurch sind wir auch schnell in der Kommunikation – in großen Hierarchien geht viel Zeit verloren. Bei uns wird immer noch das meiste in der Teeküche besprochen.

„Droht“ bei großem Erfolg nicht auch die Beförderung?

Ich habe immer dankend abgelehnt. Nicht, dass es mich nicht gereizt hätte, aber das muss auch mit der Familie stimmen und die ist in Salzburg gut verwurzelt. Man kann nicht über Tausende Kilometer eine Ehe aufrecht erhalten, möchte auch als Vater anwesend sein. Ich glaube auch nicht, dass du mit viel Versetzen als Firma besser wirst. Was eine Marke auszeichnet, ist Kontinuität.

Ist Manager in der Autobranche noch ein Traumberuf?

Ich liebe meinen Beruf nach wie vor, hab ihn aber immer mehr wegen der Leute gemacht und nicht wegen der Autos. Du musst die Leute mögen – egal, was du verkaufst.

Wie könnte die Zukunft der Branche aussehen?

Was die Antriebsarten angeht, halte ich es wie mit dem Wald: Eine Monokultur war noch nie gut. Ich glaube an die individuelle Mobilität, aber auch daran, dass wir mit den CO2-Werten runter müssen.

Wie wird sich der Markt also künftig verändern?

Es kommen technologische Umbruchjahre. Eigentlich hat kaum eine Industrie, die mit alter Technologie produziert hat, die neue überlebt. Man kann sich natürlich fragen: Warum sollte das die Autoindustrie überleben? Vielleicht tut sie es ja auch nicht. Es ist jetzt aber sehr, sehr viel Bemühen da. Wesentlich ist, dass man für unterschiedliche Lebenssituationen passende Mobilitätskonzepte bieten muss. Letztlich ist die Automobilbranche die letzte Kernindustrie Europas: Wir produzieren keine Handys, Computer, wenig Haushaltsgeräte, kaum Kleidung. Wir können in Europa nicht berufsmäßige Konsumenten werden.

Stellt die Politik die Weichen derzeit richtig?

In der Politik wird heute der Fehler gemacht, die Technologie vorzugeben und nicht die Ziele. Die Grenzwerte für 2030 sind ambitioniert – schwer einzuhalten, aber das fördert den Ehrgeiz. Aber man muss die Größe haben zu sagen: Wie ihr die erreicht, überlasse ich euch. Es gibt Zehntausende Techniker bei allen Herstellern, die in allen Richtungen entwickeln. Woher nimmt man die Überheblichkeit, dass man sagt „Ich weiß schon jetzt, welche die passende ist.“ Da muss man schon ein wenig ungeschickt sein und sich selbst überschätzen. Wenn ich Jurist bin, sag ich dem Koch auch nicht, wie er sein Schnitzel zubereiten soll.

Werden die Forderungen in Sachen Klimaschutz derzeit richtig formuliert?

Hausverstand ist gefragt. Die Diskussion muss offen sein, es geht um den Konsum insgesamt. Es ist das Privileg der Jugend, radikale Forderungen zu stellen – das war schon bei den 68ern so. Jeder dogmatische Ansatz ist aber unheimlich und nie lösungsorientiert.

Vielen Dank für das Gespräch!

Mehr Infos unter www.seat.at