Schenkt uns reinen Wein ein!
Als der Wein dabei war, zum Massenprodukt zu werden, griffen die Winzer beherzt ein. Wie verantwortungsvoller Weinbau aussieht, der nicht nur auf Spritzmittel verzichtet, zeigt der schau-Club anhand einiger Beispiele.
Viel Schindluder wird mit dem Begriff Nachhaltigkeit getrieben, seit man den alten Forstwirtschaftsausdruck als Maß gesellschaftlich erwünschten Verhaltens wiederentdeckt hat. Beim Weinbau, einem weiteren landwirtschaftlichen „Anwendungsgebiet“ der Prämissen der Ressourcenschonung, hat das Prinzip in den letzten Jahren aber an Bedeutung gewonnen. „Müssen kiloschwere Flaschen wirklich sein?“, fragen Konsumenten heute ihre Winzer, für die das Gewicht der Burgunder-Flaschen früher noch ein Hinweis auf die Qualität ihres Inhalts darstellte. Der Klimawandel und seine Auswirkung auf den rund 100 Tage währenden Zyklus zwischen Traubenblüte und -lese hat in Österreich aber auch die Weinbauern selbst nachdenklich werden lassen.
Über 80 Betriebe haben sich mittlerweile – ungeachtet ihrer biologischen oder konventionellen Arbeitsweise – der aufwendigen Zertifizierung „Nachhaltig Austria“ unterzogen. Denn ein reines Bio-Siegel sagt schließlich nichts über den Umgang mit Mitarbeitern oder verwendete Materialien (etwa Schraubverschluss anstelle des Naturmaterials Kork) aus. Beim Gütesiegel „Nachhaltig Austria“ steht daher bewusst die Gesamtheit der Produktionsschritte im Mittelpunkt: Von der Weingartenanlage bis zur Vermarktung in der Flasche werden alle Maßnahmen auf ihre ökosoziale Vertretbarkeit „abgeklopft“.
Die ökosoziale „Betragensnote“
Mit dem Siegel „Nachhaltig Austria“ war Österreich auch europaweit ein Pionier beim Schutz der Weingartennatur. Es war das erste Gütezeichen, hinter dem kein Verein, sondern die Organisation der gesamten Winzerschaft eines Landes steht. Davor waren ähnliche Nachhaltigkeitszertifizierungen nur in Übersee vorhanden, etwa für die Weingüter Neuseelands oder Kaliforniens. Die ÖWM stellte für den Beginn der Zertifizierung eine Onlinebefragung zur Verfügung, die den Winzern zur Eigenbewertung dient. Das Programm erstellte dann ein Nachhaltigkeitsdiagramm, das aus den jeweiligen betrieblichen Kennzahlen errechnet wurde. Denn das Gütesiegel sieht weniger einzelne Verbote als sinnvoll an, sondern vergibt quasi eine Gesamtnote für die Anstrengungen der Weingüter. Der Skalenbereich reicht von minus zehn bis plus zehn, wobei sich die Betriebe zu jedem der 360 Punkte deklarieren müssen.
Für eine gute Bilanz kann also ein schlechter Bereich – etwa beim Düngen – nur durch Anstrengungen in anderen Nachhaltigkeitsfeldern wieder „neutralisiert“ werden. Die Winzer wissen durch die vorhergehende Befragung also, wo sie stehen bzw. wo noch starke Anstrengungen nötig sind. Die eigentliche Zertifizierung selbst wird nach Erfüllung der Kriterien dann durch ein externes Institut (Lacon oder agroVet) vorgenommen. Diese unabhängigen Stellen achten auf Kriterien wie Klimaneutralität, Wassernutzung, Energieeinsatz, Bodenfruchtbarkeit oder Artenvielfalt im Weingarten, aber auch auf soziale und ökonomische Aspekte. Alljährlich werden auch die Spitzenleistungen in den einzelnen Bereichen ausgezeichnet, also Winzer, die einen Bereich (zum Beispiel Klima oder Biodiversität) besonders mustergültig gelöst haben.
Mit E-Bikes durch die Rieden
Der internationale Aspekt kann hier durchaus als Treiber gesehen werden. Denn je mehr ein Weingut exportiert, desto eher stellen sich Fragen nach dem ökologischen „Fußabdruck“. So finden sich unter den zertifizierten Erzeugern auch große Betriebe. „Mit einem Schlag konnte ein Drittel der Anbaufläche der Wachau als nachhaltig zertifiziert werden“, freute sich heuer etwa Heinz Frischengruber. Für die Genossenschaft „Domäne Wachau“ machte das Instrument des Weinbauverbands möglich, alle 250 Traubenlieferanten auf einen Ökö-Standard einzuschwören. Dank der großen Fläche von 420 Hektar „wurde so die Wachau wieder zu einem Vorreiter“, so Frischengruber. Mehr als 30 Prozent eines heimischen Weinbaugebiets bekennen sich nunmehr zu den Prinzipien der Nachhaltigkeit!
Im burgenländischen Andau rechnet Erich Scheiblhofer wiederum vor, was sich an Energieeinsparungen bei seinem seit 2017 zertifizierten Hof ergeben hat: „Unsere Photovoltaikanlage verfügt über 1.140 Module und eine Leistung von 268 kWp, was in etwa dem Strombedarf von 70 Haushalten entspricht. Dies ermöglicht uns bereits jetzt eine energieautarke Weinproduktion, ein weiterer Ausbau der Anlage ist bereits geplant.“ Selbst für die Gäste des Weinguts zieht der „Big John“-Winzer das Prinzip durch – Elektrofahrräder stehen zur Verfügung, um die Weingärten und Seewinkler Puszta umweltschonend zu entdecken – ein wichtiger Ausgangspunkt, denn schließlich will Scheiblhofer 2021 auch das Wein-Wellness-Hotel „The Resort“ mit
115 Zimmern eröffnen.
Winzer, die stets vorausschauen
„Unser Wunsch und Ziel ist, vor allem die Weingärten und den Boden noch für viele weitere Generationen zu erhalten“, formuliert es Eva-Maria Gober vom Weingut Gober in Horitschon. Für die Winzerin aus dem Blaufränkischland bedeutet das aber, „sie somit jetzt, soweit es geht, zu schonen“. Dafür arbeiten die vier Gobers (Anton, Gabi, Eva-Maria und Christian) auf den insgesamt
5,5 Hektar des Familienweinguts. Denn: Winzer mussten immer schon in die Zukunft blicken. Heute frisch gepflanzte Reben bringen schließlich in fünf Jahren guten Ertrag, bei schonender Behandlung könnten die Weinstöcke auch 100 Jahre alt werden. Was besonders den Konsumenten noch zu wenig bewusst ist, stellt der ökologische Fußabdruck eines Weines dar. In der Muster-Region Traisental etwa wurde errechnet, dass ein Liter Wein insgesamt 1,9 Kilogramm CO2 und somit nahezu das Doppelte seines Eigengewichts bzw. fast einen Kubikmeter Gas emittiert. Dazu kommen rund 8,3 Liter Wasserverbrauch bei der Herstellung, wie Wein-Expertin Sylvia Petz in ihrer akademischen Abschlussarbeit („Evaluierung der Nachhaltigkeitszertifizierung Nachhaltig Austria für den österreichischen Weinbau“) ausgeführt hat.
Gesunde Trauben schmeckt man
Mit dem reinen Naturschutz und Verzicht auf Pestizide ist es aber nicht getan, wie die Nachhaltigkeitsexpertin der schwedischen Universität Lund, Kimberly Nicholas, bei der „Wein&Klima“-Konferenz in Porto erklärte: „Für 38 Prozent der Treibhausgase in der Weinproduktion zeichnet die Verpackung verantwortlich.“ Vor allem die Kühlung beim Abfüllen und Lagern sowie die Zustellung zum Konsumenten werden dabei zur kardinalen Öko-Sünde. Ein Beispiel dafür, wie es auch anders gehen kann, liefert Wolfgang Hamm vom Stiftsweingut Klosterneuburg: „Die tiefen, doppelwandigen Keller des Stifts benötigen keine Klimaanlage für die Lagerung des Weins. Auch die Abwärme von Gärung und anderen Prozessen wird genutzt, indem sie in den Energiekreislauf zurückgeführt wird. Ein hauseigenes Biomasse-Kraftwerk sorgt für die gesamte Wärmeenergie und liefert auch Ökostrom ans Netz. Wo möglich, greifen wir auf regionale Lieferanten zurück, um die Transportwege gering zu halten.“
Mit Maßnahmen wie diesen konnte Hamm bereits vor zehn Jahren das erste „klimaneutrale“ Weingut des Landes aufbauen. Und er bekräftigt, was viele Genießer schon lange zu schmecken glauben: „Große Weine können nur im Einklang mit der Natur entstehen.“