Unvergessene Jazz-Legende: Louis Armstrong und seine Wien-Connection
Er war der Trompetenspieler, der größte seines Fachs: Der US-Amerikaner Louis Daniel Armstrong begeisterte mit seiner Musik die Menschen rund um den Globus. Auch in Wien sorgten seine Gastspiele für Furore.
Anlässlich des 50. Todestags von Louis Armstrong am 6. Juli dieses Jahres lohnt es sich, an die vielfältigen Österreich-Bezüge in der Karriere des populärsten Jazzmusikers des 20. Jahrhunderts zu erinnern. Den Sänger und Trompeter, den man auch „Satchmo“ (satchelmouth, engl. = großer Mund) nannte, ist vielen Menschen vor allem als Entertainer und Interpret von Schlagern wie „Hello Dolly“ oder „Blueberry Hill“ in Erinnerung.
Diese Platteneinspielungen wurden nach dem Zweiten Weltkrieg gemacht. Die historisch wichtigste Platte seiner gesamten Laufbahn hatte Louis Armstrong mit seinen Hot Five freilich bereits 1928 aufgenommen: Der „West End Blues“ des großen Kornettisten Joe „King“ Oliver gilt wegen Armstrongs furiosem Eröffnungssolo als richtungsweisende Einspielung des frühen Jazz.
Vienna Calling
Seinen ersten Wien-Auftritt absolvierte Louis Armstrong am 28. Dezember 1955 im Großen Saal des Konzerthauses mit seinen All Stars und der Sängerin Velma Middleton. Nach den Jahren der Nazidiktatur, in denen der Jazz als „entartete Musik“ gegolten hatte, und dem Zweiten Weltkrieg empfand man den neuen Sound aus Amerika hierzulande als künstlerische Botschaft der Freiheit. Und Louis Armstrong, 1901 in New Orleans geboren, galt als „King of Jazz“, als der wichtigste und populärste Vertreter dieser Musik. Dementsprechend wurde „Satchmo“ im Konzerthaus stürmisch gefeiert.
Schon vor Louis Armstrong hatten der Klarinettist Woody Herman und der Vibraphonist Lionel Hampton mit ihren Big Bands das jazzhungrige Wiener Publikum zu Begeisterungsstürmen hingerissen. Von da an waren alle amerikanischen Jazzgrößen von Duke Ellington und Benny Goodman über Stan Kenton und Dizzy Gillespie bis zu Ella Fitzgerald, Nat „King“ Cole oder Miles Davis in Österreich live zu erleben. Und natürlich immer wieder der kanadische Pianovirtuose Oscar Peterson.
Bronner und die Zugfahrt
Aber nur Louis Armstrong hat es aus dieser erlauchten Künstlerriege in die österreichische Kabarettliteratur geschafft. Das kam so: „Satchmo“ reiste mit seinen Musikern per Zug von München nach Wien, um hier zu konzertieren. In Attnang-Puchheim blieb der Zug längere Zeit stehen und Armstrong stieg aus, um sich ein paar Würstel zu kaufen. Er versäumte die Abfahrt und der begnadete Wiener Kabarettist Gerhard Bronner bezog aus dieser Situation die Inspiration zu einem seiner größten Erfolge: „Armstrong saß ganz verloren auf dem Bahnsteig und wartete auf ein Wunder. Natürlich konnte er sich mit niemandem verständigen, da er der deutschen Sprache nicht mächtig war. Und sogar, wenn er Deutsch gekonnt hätte, bin ich nicht sicher, ob ihm das in Attnang-Puchheim viel geholfen hätte. Jedenfalls versetzte ich mich in seine Lage. Die einzige ihm zur Verfügung stehende Informationsquelle, um irgendwie weiterzukommen, war der Fahrplan der Österreichischen Bundesbahn. Ich malte mir aus, wie die seltsamen Ortsnamen Österreichs auf den Mann aus New Orleans gewirkt haben mussten. Und von da an war es nur noch ein gedanklicher Schritt zu einem traurigen Blues, gespickt mit alpinen Ortsnamen, kurz: dem ,Bundesbahn-Blues‘.“
Wenn der dunkel geschminkte Helmut Qualtinger dann ab 1956 diese Nummer auf der Kabarettbühne als heisere Armstrong-Imitation vorgetragen habe, sei dies ein konzentrierter Frontalangriff auf die Lachmuskeln des Publikums gewesen, erinnerte sich Gerhard Bronner: „Dieses völlig wirre Mischmasch von Pidgin-Englisch, unterfüttert mit alpinem Gefluche und dazu die willkürliche Aufzählung von seltsam klingenden Ortsnamen löste allabendliche Begeisterungsstürme aus.“ Letztlich schaffte es Louis Armstrong übrigens, rechtzeitig zu seinem Konzert in Wien einzutreffen.
Jugend liebt Jazz
Fortan gastierte „Satchmo“ aufgrund des gigantischen Publikumsinteresses immer wieder in der Wiener Stadthalle, die 11.000 Besuchern Platz bot. Am 22. Februar 1959 waren die Louis Armstrong All Stars gleich zu einem Doppelkonzert hier: eines am Nachmittag und eines am Abend. 22.000 Menschen waren begeistert, übrigens befanden sich auch zahlreiche Prominente, darunter der Dirigent Herbert von Karajan und der Schauspieler Helmuth Lohner, unter den Konzertbesuchern. Karajan erzählte mir dazu in den 1970er-Jahren, er sei von diesem Konzert sehr beeindruckt gewesen und habe dies auch den Wiener Philharmonikern vermittelt.
Wie populär der Jazz und Louis Armstrong damals waren, zeigte sich auch daran, dass sich schon bei der Ankunft „Satchmos“ auf dem Wiener Westbahnhof 4.000 Menschen einfanden, um ihn zu begrüßen. Angeblich soll bei dem Gedränge sogar sein Anzug zerrissen worden sein. „Der Jazz ist groß – ,Satchmo‘ sein Prophet“ betitelte die Arbeiter-Zeitung ihren Bericht über Armstrongs erstes Konzert in der Stadthalle. Die Bühne war in bunte Farbkleckse der Scheinwerfer getaucht und „Satchmo“ zog sofort das Publikum in seinen Bann. In der Arbeiter-Zeitung konnte man lesen: „Armstrong und seine Leute dürfen anrühren, was sie wollen. Alles wird unter ihren Instrumenten zu Jazz. Selbst ein Träller-Liedchen wie ‚La vie en rose‘ klingt im sandpapierrauhen Baß ,Satchmos‘ unverfälscht. Solange er seine Trompete bläst, lebt der Jazz, wird mit jedem Ton neue, herrliche Musik geschaffen.“ Die Publikumsnachfrage war so groß, dass Louis Armstrong in diesem Jahr noch einmal in die Stadthalle kam, und zwar am 20. Mai 1959.
Doppel furioso
Am 7. Februar 1961 gab „Satchmo“ neuerlich ein Doppelkonzert in der Wiener Stadthalle. Neben Louis Armstrong an der Trompete waren Trummy Young (Posaune), Barney Bigard (Klarinette), Arvell Shaw (Bass), Billy Kyle (Piano) und Danny Barcelona (Schlagzeug) zu hören. Aus Salzburg angereist war der Amateurjazzmusiker Adi Jüstel, der sich die Hände wund klatschte und nach dem Konzert sofort in den Jazzclub von Fatty George pilgerte, wo schon die Musiker aus der Armstrong-Band eingetroffen waren und mit der Hausband jammten. Gegen fünf Uhr früh forderte Trummy Young seine Kollegen zum Aufbruch auf, um den Frühzug nach München zu erreichen.
Adi Jüstel erinnert sich: „Es stellte sich heraus, dass ich mit dem gleichen Zug nach Salzburg zurückfahren wollte, worauf mich Trummy Young in den eigens für die Armstrong-Band reservierten Sonderwaggon einlud. Wir gingen zur Garderobe und ich nahm meinen Trompetenkoffer. Als Trummy dies sah, fragte er mich, ob ich Trompete spiele. Ich bejahte und er fragte, warum ich in Fattys Lokal nicht mitgespielt hätte, worauf ich antwortete: ,Ich bin nur Amateur und wollte mich nicht euch großen Künstlern aufdrängen.‘ Wir fuhren mit dem Taxi zum Bahnhof und trafen dort Louis Armstrong mit seiner Frau. Die Musiker erzählten ,Satchmo‘ von der Session bei Fatty George und dass sie mich eingeladen haben, in ihrem Waggon bis Salzburg mitzufahren. Als Louis hörte, dass ich auch Trompete spiele, forderte er mich auf, mein Instrument auszupacken. Ich begann zu spielen und auch die anderen Musiker holten ihre Instrumente und es wurde eine für mich unvergessliche Jamsession im Zug. Ein Satz von Louis Armstrong hat mir mein ganzes Leben Kraft gegeben, wenn ich einmal glaubte, musikalisch nicht weiterzukommen. Er sagte: ‚Du hast ein besonderes Talent, ein immenses Gehör und ein Feeling für Jazz, wie es fast nur schwarze Musiker haben.‘“
Abschied von Louis Armstrong
In diesen Jahren hat übrigens der Wiener Komponist, Arrangeur und Dirigent Erwin Halletz gemeinsam mit Olaf Bradtke das Lied „Uncle Satchmo’s Lullaby“ („Onkel Satchmos Wiegenlied“) für Louis Armstrong geschrieben, das dieser 1959 mit der deutschen Sängerin Gabriele Clonisch aufnahm. Armstrong sang seinen Text auf Englisch, während die „kleine Gabriele“ ihren auf Deutsch interpretierte. Das Lied fand im deutschen Musikfilm „La Paloma“ Verwendung und wurde in unseren Breiten ein Hit.
Armstrongs letzter Auftritt in der Wiener Stadthalle war am 10. April 1962. Zu einem 1971 vom damaligen ORF-Generalintendanten Gerd Bacher, einem Jazzfan, anlässlich des dreijährigen Ö3-Senderjubiläums geplanten weiteren Konzert „Satchmos“ in der Stadthalle sollte es nicht mehr kommen. Am 6. Juli 1971 um 5.30 Uhr früh schloss der große Musiker in seinem Haus in Corona, New York, für immer seine Augen.
Der amerikanische Präsident Richard Nixon ließ die erschütterte Weltöffentlichkeit wissen: „Mrs. Nixon und ich teilen die Trauer von Millionen von Amerikanern über den Tod von Louis Armstrong. Das Genie und der überragende Geist dieses Architekten einer amerikanischen Kunstform und Künstlers von Weltrang bereicherten und beglückten unser aller Leben.“ Die kirchliche Begräbnisfeier wurde im US-Fernsehen live übertragen und die Ehrengarde am Sarg bestand u. a. aus Frank Sinatra, Count Basie, Duke Ellington, Bing Crosby und Ella Fitzgerald. Nicht nur ganz Amerika, die ganze Welt nahm Abschied von einem der größten Musiker des 20. Jahrhunderts.