Im Gespräch: Rudi Nemeczek von Minisex über sein neues Album “1994”
Mit der neuen CD „1994“, einem Schatz aus dem namensgebenden Jahr, plädiert Rudi Nemeczek für mehr Gelassenheit. Im Interview stellt der „Minisex“Frontman das „Heimat-Album ohne Lederhosen“ vor. Und er erklärt am Rande eines Videodrehs seinen unerwarteten YouTube-Erfolg.
Die Lockenmähne ist im wahren Leben noch genau so wie am Platten-Cover: Rudi Nemeczek wirft sie gerade für den Regisseur seines Musikvideos wild durch die Josefstädter Gin-Bar „Torberg“. Der Sänger wohnt nicht weit von hier, entsprechend „haben die Songs die Stadt in ihrer DNA“, wie Nemeczek sagt. In einer Drehpause spricht er über seine neue Produktion, die ein Vierteljahrhundert auf ihre Veröffentlichung warten musste. Und Rudi Nemeczek signierte bei dieser Gelegenheit auch ein Exemplar von „1994“ für unsere Leserschaft.
schau: Rudi, wie kommt es dazu, dass wir „1994“ erst ein Vierteljahrhundert nach seiner Entstehung zu hören bekommen?
RUDI NEMECZEK: Die Platte war und ist das einzige Solo-Album als Rudi Nemeczek, es kam aber nie wirklich in den Handel und ist durch einen Plattenfirmenaufkauf praktisch verschwunden. Ab und an wird es im Internet um 70 Euro gehandelt. Aber wir leben alle nicht so lange und daher sollten das doch mehr Menschen hören. Denn ich bin der Ansicht, dass es darauf extrem gute Texte und Melodien gibt, die das auch wert sind. Es gibt aber auch noch einen zweiten Grund.
Und zwar?
Eine der Nummern darauf, „Die stille Konsequenz“, habe ich vor 25 Jahren für eine Frau geschrieben, die ich sehr geliebt habe. Letztes Jahr habe ich sie wieder getroffen, nachdem wir uns 23 Jahre nicht gesehen hatten – und nächstes Jahr heiraten wir! Das Lied behandelt das Phänomen des Aufeinanderzugehens, aber auch das Abstandhalten in einer Beziehung. Es ist ein starkes Liebesbekenntnis, das aber auch mit dem Erkennen der Schwächen des anderen verbunden ist. Die Baseline ist aber immer das Positive, die Liebe.
Gratuliere zu dieser Wiederbegegnung! Wie aber war das Wiederhören mit den Songs nach so langer Zeit – haben sie sich gut gehalten?
Das meiste habe ich davor auch 25 Jahre nicht gehört, aber die Eloquenz der Texte ist wirklich genial. Und dazu finden sich Melodien … Also, wenn alle von der Renaissance des Austropop sprechen, mit Wanda und Co, da braucht sich dieses Album nicht zu verstecken. „Die stille Konsequenz“ hätte beispielsweise auch von Ludwig Hirsch sein können – und das ist sicher nicht die schlechteste Referenz.
Eine andere Nummer heißt „Rudi“ – ist das der gleiche wie im Minisex-Hit „Rudi, gib acht“?
Ja, das ist der gleiche. Die Nummer war ja damals der erste deutschsprachige Anti-Stalker-Song. Aber jetzt ist der Rudi in einer typisch wienerischen Halbdepression. Darum warnt ihn der Song auch, dass er sich nicht verkühlen soll.
Bei „1994“ stößt man auf einige bekannte Namen wie Heli Deinboek, Wolf Haas oder Walter Werzowa, der mit „Bring me Edelweiss“ einen Hit hatte. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?
Das waren alles freundschaftlich verbundene Kollegen. Ich habe damals beruflich ja Werbung gemacht und Wolf Haas textete auch. Das war so die Zeit unmittelbar vor seinem ersten „Brenner“-Roman.
Momentan hast du ja auch einen Höhenflug im Web: Deine Neu-Version von „Ich fahre mit dem Auto“ für die Wiener Linien („Wir fahren mit der U-Bahn“) hat im Web bereits 367.000 Zugriffe. War das so zu erwarten?
Die Idee kam von der jungen Werbe-Agentur Traktor, bei der übrigens ein Student von mir sehr erfolgreich ist, und gefiel auch den Wiener Linien. Im Original war damals das Auto der Hit und ziemlich „fancy“ – heute ist es das in der Stadt aber längst nicht mehr. Meine Idee war daher, dass es um die Mobilität gehen soll und nicht mehr um das Abfeiern eines Verkehrsmittels von gestern. Allerdings ist es nicht so, dass sich der Erfolg in der virtuellen Welt gleich auch in merkantilen Erfolg übersetzt.
Verglichen mit der digitalen Zeit, ist deine CD aber auch eine Zeitkapsel: Es geht um „Sex und Spirituosen“, man trifft sich noch in Bars und nicht auf Dating-Portalen …
Die Platte enthält sicher viel Hedonismus und Selbstironie. Zum Beispiel bei Zeilen wie „Du glaubst noch, du regierst mi – owa i glaub hoit ans, Baby: Du irrst di.“ Die Selbstironie ist ja was Wunderbares und auch sehr Wienerisches: In einem Moment fühlen wir uns großartig, bis zur Überschätzung, und dann lachen wir wieder über unsere Blödheiten. Das hilft ja auch. Es gibt im täglichen Leben ständig auch eine „schwarze Seite“. Die wird aber vom Humor abgefedert. Ich mein’: Wir sind alle irgendwie Stars, aber halt in einem Wein-Land. Man könnte sagen, es ist ein Heimat-Album ohne Lederhosen.
Ein urbanes Heimat-Album, könnte man auch sagen, denn das Wienerische kommt immer stark durch. Etwa wenn du singst „A bisserl wos geht immer.“
In einem gewissen Sinne sind das ja auch moderne Wienerlieder. Den Spruch darf man etwa nicht nur negativ sehen, schließlich ist es auch ein recht sexualisiertes Album. Nicht, dass der Sex alles bestimmen würde, aber er ist schon auch wichtig in unserem Leben – und dazu sollte man eben auch stehen. Und etliche Sätze auf „1994“ sind sicher nicht politisch korrekt. Aber auch wenn ich ein gesellschaftlich sehr engagierter Mensch bin und sicher kein Konservativer, soll man doch bitte auch sagen können, dass man das Leben geil findet. Wer will denn gänzlich aseptisch leben? Es ist halt so, dass wir ein tägliches Wechselbad aus Euphorien und Schmerzen erleben. Um es mit einer Textzeile zu sagen, auf die ich einigermaßen stolz bin: „Na guat, i bin kein Heiland, oba sunst irgendwie sehr leiwand“!
Lieber Rudi, wir sagen Danke für das „leiwande“ Gespräch!