Christoph Strasser: Der Weg ist weiter als das Ziel
Er ist der erfolgreichste Ultra-Radsportler der Gegenwart und 24-Stunden-Weltrekordhalter: Der Steirer Christoph Strasser (37) gewann unter anderem mehrfach das Race Across America sowie weitere Nonstop-Rennen. Mit schau sprach er exklusiv über die Wichtigkeit von richtigen Zielen, wie man sich selbst bestmöglich motivieren kann und Vorsätze Schritt für Schritt in die Tat umsetzt.
Es ist ein langer und harter Weg aus dem steirischen Leoben aufs Siegerpodest beim Race Across America. Das weiß wahrscheinlich kaum einer so gut wie Christoph Strasser. Die rund 5.000 Kilometer lange Strecke, von der amerikanischen Westküste zur Ostküste, hat er in den Jahren 2011 bis 2019 insgesamt sechs Mal als Sieger beendet. Wie motiviert man sich eigentlich zu solchen Höchstleistungen? Welche Ziele steckt man sich und – vielleicht überhaupt am wichtigsten – wie schafft man es dranzubleiben?
In seiner Autobiografie „Der Weg ist weiter als das Ziel“ gibt der Spitzensportler Einblick in seine Gedanken- und Seelenwelt. Sein Credo: „Die Freude im Ziel währt nur kurz, wirkliche Zufriedenheit bringen die täglichen kleinen Schritte auf dem Weg dorthin.“ Im Gespräch mit schau verrät er seine besten Tipps.
schau: Welche Ziele haben Sie sich für 2020 gesteckt?
Christoph Strasser: Nach insgesamt neun Teilnahmen am Race Across America habe ich für diese Saison ein anderes Ziel definiert, weil ich gespürt habe, dass es für meine Motivation wichtig ist, mir eine neue Herausforderung zu suchen. Da ich schon länger davon träume, in 24 Stunden die 1.000-Kilometer-Schallmauer zu knacken, werde ich es im Sommer/Herbst 2020 definitiv anpacken. Bei meinem 24-Stunden-Weltrekord auf der Radbahn in Grenchen (SUI) 2017, habe ich schon einmal darauf hingearbeitet, hatte die Marschroute aber nach ein paar Stunden nicht mehr halten können. Die Steilkurven mit dem Anpressdruck und die beinahe unerträgliche Monotonie auf der 250 Meter kurzen Holzbahn waren die Gründe, warum ich meine Leistung nicht so hoch halten konnte wie für das angepeilte Ziel nötig, es kam aber trotzdem ein neuer Weltrekord mit 941 Kilometern zustande. Inspiriert durch den historischen Marathon-Lauf unter zwei Stunden habe ich beschlossen, das ganze Jahr 2020 auf dieses große Ziel auszurichten. Die Details, Datum und Ort, sind noch in Planung.
Um erfolgreich zu sein, sollte man seine Ziele natürlich auch erreichen oder sogar übertreffen. Wie setzt man sich eigentlich die richtigen Ziele?
Da gibt es sicher ganz individuelle Ansichten. Ich bin nicht unbedingt ein Fan davon, sich allzu hohe Ziele zu setzen. Das mag jetzt verwunderlich klingen, wenn so ein Statement von jemandem kommt, der solche Leistungen bringt, aber ich mache den Sport schon so lange und weiß, dass ich mich in kleinen Schritten von Jahr zu Jahr verbessert habe. Das Konzept der smarten Ziele gefällt mir besser. Ich schreibe mir meine Ziele immer auf, klebe sie als Post-it-Notizen an meinen Heimtrainer, Computerbildschirm und an den Kühlschrank – also an die Orte, die ich täglich vor mir habe. Ein Ziel sollte demnach „simpel, messbar, attraktiv, realistisch und terminisiert“ sein. Besonders wichtig finde ich hierbei den Punkt realistisch. Wenn ich mir vornehme, das Race Across America in sieben Tagen zu fahren, werde ich es trotz bester Vorbereitung nicht schaffen können, Frust ist vorprogrammiert. Daher sind kleine Zwischenziele wichtig, die mich immer wieder mit Motivation belohnen, wenn ich auf dem Weg zum großen Ziel die kleinen täglichen Schritte schaffe. Das Fingerspitzengefühl, welches Ziel für mich persönlich realistisch ist und welches zu hoch, das entwickelt sich dann im Laufe der Zeit.

Rund 5.000 Kilometer nonstop: Sechs Mal gewann Christoph Strasser das Race Across America. © Lex Karelly
Wie halten Sie es mit Vorsätzen und wie schaffen Sie es, das Jahr über dranzubleiben?
Das neue Jahr ist eine Zahl, die sich im Kalender ändert. Es ist nicht so, dass sich am 1. Jänner etwas ändert, nur weil sich eine Ziffer ändert. Wer sich etwas vornimmt, eine unangenehme Gewohnheit ablegen oder sich positive Routinen aneignen will, kann jederzeit damit beginnen und sich nicht auf Neujahrsvorsätze beschränken. Mir persönlich hilft eine Dokumentation sehr dranzubleiben. Am Ende des Tages werden die Trainingsfortschritte niedergeschrieben. Es wird mir somit ins Bewusstsein gerufen, wie viel ich schon für mein Ziel investiert habe. Umso mehr an Einsatz ich reinstecke, umso weniger groß ist die Verlockung, alles hinzuschmeißen.
Was können wir von Spitzensportlern in Sachen Motivation lernen?
Geduld und Gelassenheit, wenn es einmal nicht nach Wunsch läuft. Niemand erreicht seine Ziele ohne Phasen der Verletzungen, Krankheiten oder einfachen Durchhängern. Niederlagen, Rückschläge gehören immer dazu, alles andere ist utopisch. Wenn sich jemand ein Ziel setzt, motiviert, fleißig und akribisch darauf hinarbeitet, aber es nicht gleich im ersten Versuch schafft, dann wird oft alles infrage gestellt. Aber Dinge brauchen Zeit, in unserer schnelllebigen Zeit mag man das oft nicht wahrhaben und will den schnellen Erfolg. Doch ohne Geduld mit sich selbst und das Akzeptieren von Misserfolgen wird man außer kleinen Erfolgen nicht viel erreichen können.
Wo holen Sie sich Ihre Motivation?
Pausen zur richtigen Zeit sind ganz wichtig. Ich belohne mich selbst nach monatelangem Training gerne mit einem Urlaub, einer Reise oder einer Auszeit. Motivation über lange Zeit und Jahre hinweg – wo wir wieder bei Geduld und Langfristigkeit sind – kann nur aufrecht bleiben, wenn ich mich auch mal herausnehme und etwas Abstand gewinne und neue Kraft sammle. Wer immer nur Vollgas gibt, wird nicht besser, sondern steuert auf ein Burn-out oder, wie wir Sportler es nennen, auf ein Übertraining zu. Jeder Mensch kann Höchstleistungen bringen, aber nicht permanent, sondern in den Phasen, in denen es darauf ankommt, und wenn er sich dazwischen wieder erholt.
Hand aufs Herz: Wie wichtig ist das Umfeld für den Erfolg oder muss man den Weg am Ende doch alleine gehen?
Für mich ist das Umfeld enorm wichtig. Auch wenn ich alleine auf dem Rad sitze, bin ich ein Teamplayer und hole mir viel Inspiration von meinen Wegbegleitern. Ich trainiere das Jahr über großteils alleine. Die elf Betreuer, die mich beim RAAM begleiten, gehen ihren Berufen nach. Doch beim Rennen verschmelzen wir zu einem eingespielten Team und das weckt die Extramotivation in mir. Das Team und die Stimmung sind für ein erfolgreiches Race Across America so unglaublich wichtig, Ernährungsprotokolle, Pausenplanung, Navigation, Logistik, sportärztliche Überwachung sind nur ein paar wenige der Aufgaben, die die Crew für mich macht, während ich kurble. Läuft es im Hintergrund nicht perfekt und haben wir nicht alle gemeinsam Spaß, dann könnte ich niemals in einer so schnellen Zeit die Ostküste erreichen. Aber auch im Alltag bleiben Freunde und ein intaktes soziales Umfeld die wichtigsten Faktoren, um glücklich zu sein – und darum geht es doch im Leben. Würde ich mich abkapseln und nur egoistisch meine Ziele verfolgen, könnte ich mir dann eine Trophäe an die Wand hängen, aber den Erfolg mit niemandem teilen. Mir macht es auch immer Freude, wenn ich merke, wie viele Menschen sich durch mich inspiriert fühlen und sich selbst wieder öfter aufs Rad setzen. In dieser Hinsicht bin ich gerne Vorbild und sage: Jeder gewöhnliche Mensch kann Außergewöhnliches schaffen, wenn er sich Ziele setzt, fleißig dran arbeitet und positive Menschen in seinem Umfeld hat!
Vielen Dank für das Gespräch.
Der Weg ist weiter als das Ziel
Autobiografie von Christoph Strasser, 336 Seiten; gebundene Ausgabe, Hardcover, ISBN 978-3903183087, erschienen im egoth Verlag. Via Amazon auch als E-Book erhältlich!