Christian Kolonovits: „Im Grunde bin ich Musikant“
Vom anstehenden runden Geburtstag redet Christian Kolonovits nicht. Zu viel gibt es für den Komponisten zu tun. Über blaue Trompeten und wie die Wurzeln in Rechnitz ihn prägten, erzählte er schau beim Studiobesuch.
Das legendäre Klavier, auf dem unzählige Musikproduktionen ihren Anfang nahmen, ist das Herz des Homebase-Studios von Christian Kolonovits. Direkt daneben hängt der handschriftlich geführte Aufnahme-Kalender. Schon der flüchtige Blick darauf zeigt, dass es fast ein Wunder ist, dass der Musiker die Zeit für ein Gespräch gefunden hat. Denn wie so oft werkt der gebürtige Südburgenländer nicht nur an einer Produktion: „Zum einen arbeite ich gerade an der Solo-Platte Christopher Seilers von Seiler & Speer, einer Filmmusik zu einer deutsch-österreichischen Coproduktion, die im nächsten Jahr erscheint, und den neuen Tracks für Gert Steinbäcker, aber auch für die junge Band Volxhilfe.“
Gerade erst hat er auch seinen Beitrag zum 100. Geburtstag des Burgenlands fertiggestellt – das neue Arrangement der Hymne „Mein Heimatvolk, mein Heimatland“. Für Kolonovits sollte es eher „ein Lied sein, das uns allen gehört“. Und so erklang die über sieben Minuten lange Fassung mit Opus-Gitarrist Ewald Pfleger, Willi Resetarits, der Mayerin und Melinda Stoika beim offiziellen Festakt in Stadtschlaining. Bis nach Brüssel – dort stellte Kolonovits mit Landeshauptmann Hans Peter Doskozil Anfang November die Hymne vor – hat es die Neuinterpretation bereits geschafft.
Gänsehaut mit 100 Celli
Es ist ein weiterer internationaler Auftritt für den Musiker, der auch an die Veränderungskraft von Musik glaubt. „Die Frage ist nur, wie lange es braucht, um diese Botschaft zu entfalten.“ Denn nach wie vor sind ihm nach Jahrzehnten des Tourlebens die Momente des Wandels durch Kunst in Erinnerung. Etwa die Konzerte im Südafrika der Apartheid-Zeit mit „Supermax“ Kurt Hauenstein, der gegen die Drohungen der Milizenführer vor schwarzem und weißem Publikum spielte. Oder der hochemotionale Open-Air-Auftritt mit den Scorpions in Moskau – als die Glasnost-Hymne „Wind of Change“ erklang. „Plötzlich begannen die Soldaten, die nur Wache stehen sollten am Kreml, zu tanzen und ihre Kappen auf die Bühne zu schmeißen.“
Zehn Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer stand Christian Kolonovits dann mit der Cellisten-Legende Mstislaw Rostropowitsch selbst in Berlin und dirigierte „Wind of Change“ für 100 Celli und 20 Kontrabässe. „Als der alte Mann mit seinem Stradivari-Cello dann zu spielen begonnen hat, hat das wohl jeden, der da hinaufgeschaut hat, verändert. Und ich hoffe zum Besseren!“ Große Produktionen wie diese sind seit den Erfolgen von VSOP Vienna Symphonic Orchestra Project mit Pop-Hits für Symphonie-Orchester ein Markenzeichen des Kosmopoliten geworden.
Doch seine Wurzeln in Rechnitz schätzt der Musiker bis heute: „Ich bin im kroatischen, ungarischen und deutschen Milieu des Burgenlands aufgewachsen, da habe ich so viel Kulturen verschiedenster musikalischer Natur mitbekommen.“ Die Bandbreite von der Blasmusik über den Austropop bis zu seiner Opernkomposition „El Juez“ verortet er klar in seiner südburgenländischen Kindheit. „Dass es zwischen ernster und Unterhaltungsmusik einen Unterschied geben soll, das ist ein künstlich gebrauchter Ausdruck, den ich ablehne! Es sind immer diese zwölf Töne, mit denen ich umgehen muss.“
Seit den Anfängen mit Wolfgang Ambros („Es lebe der Zentralfriedhof“), Waterloo & Robinson („Hollywood“) oder Maria Bill („I mecht landen“) bis zur elektronischen Musik von Camo & Krooked sorgt der Komponist, Arrangeur und Musiker für Klänge, die zum österreichischen Kulturgut gehören. Und auch mit heute nahezu 70 Jahren kennt er „keine Angst vor dem leeren Notenpapier“. Allerdings gibt Christian Kolonovits zu, auch schon „tagelang ums Klavier geschlichen zu sein, ehe ich mich hingesetzt und angefangen habe“.
Mit einem anderen Klavier, jenem, mit dem er in Rechnitz als „kleines, vifes musikalisches Kerlchen“ den Vater begleitet hat, begann eine Karriere, die über Frankfurt nach Wien, den Sitz des Homebase-Studios, führte. Denn Kolonovits Senior wollte eigentlich Opernsänger werden, führte nach dem Krieg als Ingenieur aber einen Elektroladen. Doch bei jedem Wien-Besuch wurden Opern-Partituren angekauft, „die er mir dann aufs Klavier gelegt hat“. Die frühe Berührung mit der Opernwelt – „Tosca“ sah er mit zehn Jahren auch live in der Staatsoper – sollte später im Auftragswerk José Carreras’ „El Juez – Los Niños Perdidos“ münden.
Der Klang ungarischen Benzins
Dass es ihn keine große Kraftanstrengung kostet, um derart die musikalischen Genres zu wechseln, sieht der Multi-Musiker als „echte Gnade“. Doch egal, ob er an einer Oper sitzt oder Arrangements für internationale Rockbands wie die Scorpions schreibt: Der Arbeitsprozess beginnt in der Regel mit dem Bleistift. „Tatsächlich schreibe ich alles mit der Hand und habe zwei Kopisten, die seit 20 Jahren mit mir arbeiten und das in die Software umschreiben.“ Was nicht heißt, dass der gefragte Dirigent nicht doch die gedruckte Partitur bevorzugt. Für Musiker spannend ist ein weiteres Kindheitserlebnis, das sich im Laufe der Zeit abschwächte. „Als Kind habe ich zu manchen Tönen ganz klar Farben gesehen oder Gerüche gespürt“, erinnert er sich an die Anfänge als Klavier-Schüler. So erschien etwa Trompetenklang vor dem inneren Auge blau. Heute noch erinnert Kolonovits der Benzingeruch in Kőszeg, „gleich über der Grenze nach Rechnitz“, daran, „dass auch der früher einen bestimmten Klang wachrief“.
Stillstand kennt Kolonovits nicht, für eine Bilanz ist es demnach viel zu früh. So viel Musik will noch geschrieben, arrangiert und dirigiert werden. Doch auch das Credo des Christian Kolonovits’ hat eine burgenländische Färbung: „Im Grunde hab ich mich immer mehr als Musikant denn als Musiker verstanden. Das habe ich so gelernt im Südburgenland, von den Musikanten, die da aufgetreten sind, denn die konnten alles spielen. Vom Tanz, wo alle lachen, bis zum Begräbnis, wo alle weinen, wurde alles von denselben Menschen begleitet.“