“Bubble Shooter”: Julian Knowle über Tennis in der Blase
Die US Open 2020 gehen fix in die Sport-Annalen ein. Nicht nur, weil mit Dominic Thiem dort erstmals ein Österreicher im Einzel triumphieren konnte. Der allererste Open-Champion in Rot-Weiß-Rot, Julian Knowle, war in New York dabei und erzählt, wie speziell die Corona-Version des Tennisklassikers wirklich war. Außerdem: Wie wird das Stadthallen-Turnier in Wien heuer ablaufen.
“Zu 100 Prozent“, kommt Julian Knowles Antwort auf die Frage, ob es der Sportlerseele besser täte, vor einem begeisterten Publikum zu siegen als ganz ohne Fans, wie aus der Vorhandecke geschossen. Der heute 46-Jährige weiß, wovon er spricht. Eroberte er doch 2007 den wichtigsten seiner 19 Doppeltitel auf höchster Tennis-Ebene im „zu drei Viertel vollen Arthur Ashe Stadion – viel für ein Doppelmatch“. Vor gut 15.000 Zuschauern sicherte sich der Linkshänder damals mit dem Schweden Simon Aspelin den Sieg bei den US Open. Damit bescherte Julian Knowle Österreich den ersten Erfolg beim Grand Slam in New York.
Eintritt verboten
Vergangenen August reiste der im Vorjahr zurückgetretene Julian Knowle neuerlich nach Flushing Meadows im Stadtteil Queens. Als Coach von Österreichs Nummer zwei, Dennis Novak, allerdings in anderer Funktion und unter deutlich anderen Vorzeichen. Coronabedingt stand die Austragung des größten Major-Events im Welttennis – 2019 besuchten während der zwei Turnierwochen noch über 850.000 Menschen die Anlage – lange Zeit überhaupt infrage. Letztlich entschied man, die 140. Auflage doch steigen zu lassen und in der Woche davor zusätzlich noch dem Vorbereitungsturnier von Cincinnati temporär Corona-Asyl zu gewähren. Voraussetzung dafür war die Schaffung der viel zitierten Bubble. Eine „Blase“ also, in der Spieler und deren jeweils maximal drei Begleitpersonen sowie der Turnier-Staff unter Einhaltung strenger Abstands- und Maskenpflicht und natürlich mit permanenter Testung gemeinsam, aber doch getrennt voneinander abgeschottet wurden. Die Fans und die allermeisten Medien mussten draußen bleiben.
Tests & Stress
Begonnen habe das Prozedere laut Julian Knowle schon vor dem Transatlantik-Trip mit einer ordentlichen Dosis Papierkram. Dies, um die Einreise in die USA zu regeln, aber vor allem um die Rückreise aus den speziell von vielen europäischen Nationen mit strengen Reisewarnungen bedachten Vereinigten Staaten ohne zweiwöchige Heimquarantäne und dem daraus resultierenden Spielverbot zu ermöglichen. „Dass dies in Verhandlungen mit den jeweiligen Regierungen erreicht werden konnte, zeigt auch, was eine Weltsportart bewegen kann“, so Knowle. Rückblickend empfindet dieser etwa die Dichte der Nasenabstrich-Tests – der erste unmittelbar nach der Landung mit 24 Stunden Wartezeit aufs Resultat im Zimmer in einem von zwei Spielerhotels, danach alle vier Tage –, das verkleinerte Teilnehmerfeld oder auch die kontaktlose Handybestellung im Spielerrestaurant als durchaus sinnvoll.
Gestresst habe ihn aber, dass er sich mit Schützling Novak aus Ersparnisgründen ein Doppelzimmer in einem Hotel im abgelegenen Long Island teilen musste: „Aber aus Sorge, dass ich ihn im schlimmsten Fall anstecken und ihn damit aus dem Turnier nehmen können hätte!“ Die Spieler hatten aber selbst dann mit Sanktionen wie einer Zimmerquarantäne und eingeschränkten Trainingsmöglichkeiten zu rechnen, wenn nicht sie selbst, sondern eine „Kontaktperson“ aus dem Umfeld positiv getestet worden wäre. Passiert ist das etwa zwei eher unbekannten Argentiniern beim Cincinnati-Ersatzturnier. Diese beschwerten sich heftig über die teils chaotische Abhandlung ihres Falls. Umso mehr, als dann unmittelbar vor Beginn der Open der gesetzte Publikumsliebling Benoît Paire positiv getestet wurde, sich das auf die Kontaktpersonen des Franzosen aber ganz unterschiedlich auswirkte. Während ein Landsmann Paires einfach weiterspielen durfte, wurde das (negativ getestete) Weltklasse-Doppel mit Frankreichs Kiki Mladenovic kurzerhand ausgeschlossen.

Julian Knowle und Dennis Novak (rechts)
Der bei den US Open auf Nummer zwei gesetzte, spätere Sieger Dominic Thiem und seine Crew mit Trainer Nicolás Massú, Physiotherapeut Alex Stober sowie Social-Media-Mann Lucas Leitner beobachteten Turbulenzen wie diese entspannt aus einer jener Privat-Boxen im Stadion, die sonst den Topsponsoren des Turniers vorbehalten sind. 2020 aber wurden die luxuriösen Suiten mit Blick auf den Hauptcourt den gesetzten Spielern als noble „Wartezimmer“ zur Verfügung gestellt. Dem Vernehmen nach galt es für die Tennis-Hautevolee dort als letzter Schrei, sich via Uber Eat feines Asia Food zum relaxten Verzehr in der Box liefern zu lassen.
Vorbild Thiem
Privilegien, welche Julian Knowle und Dennis Novak als Gäste von Novak-Kumpel Thiem ebenfalls genießen durften. Allerdings nur kurz. Nachdem Novak als Nummer 85 der Weltrangliste in der Qualifikation für „Cincinnati“ bereits in Runde zwei ausschied, war bei den US Open gleich nach dem ersten Match Endstation. Niederlagen, für die Coach Knowle übrigens keinesfalls die „Geisterspiel-Atmosphäre“ verantwortlich machen will. Die wäre Novak nämlich eigentlich gewohnt: „Auf der Challenger Tour, wo Dennis in den letzten Jahren hauptsächlich gespielt hat, sind auch kaum Zuschauer.“
Deutlich schwieriger hätten es nach Meinung von Insider Knowle Topstars, die es gewohnt sind, vor vollem Haus zu spielen: „Wie professionell Domi das bei den US Open gelöst hat, war in jeder Hinsicht vorbildlich!“ Thiem selbst hingegen gab zu, dass es während mancher seiner Matches nicht immer ganz einfach war, mental Energie zu tanken: „Wenn man ein wenig durchhängt, pusht einen sonst oft das Publikum. Irgendwie habe ich trotzdem meist einen Weg gefunden.“
Loch in der Blase
Mehr Zuspruch von den Rängen setzte es nach Redaktionsschluss für Österreichs Tennisweltstar daheim in Europa. Bei den French Open in Paris wollte man zunächst je 5.000 Zuschauer in den beiden Hauptstadien und 1.500 in einem dritten Court von ihren dort fix zugewiesenen Sitzen jubeln lassen. Problem: Trotz einer Bubble für sämtliche Spieler wurden bereits am Tag vor Beginn des Qualifikationsturniers zumindest vier Teilnehmer positiv getestet. Die umgehende Konsequenz damals: insgesamt nur mehr 1.000 statt der angepeilten 11.500 Fans pro Tag in der Anlage.
Kampf um Wien
Noch kniffliger wird die Situation beim nun anstehenden Indoor-Klassiker, bei den Erste Bank Open in der Wiener Stadthalle (24. Oktober bis 1. November). Noch im August durfte Turnierdirektor Herwig Straka hoffen, dass mit Maßnahmen wie einem intelligenten Sitzvergabekonzept, einem freiwilligen Tracking-Konzept oder auch einem für Corona optimierten Einlasssystem bis zu 5.000 Zuschauer täglich Dominic Thiem zur Titelverteidigung peitschen könnten. Durch die Anfang September in Kraft getretene Ampel-Regelung und weitere Verordnungen muss nun wohl deutlich anders kalkuliert werden. Bei Fertigstellung dieser Ausgabe durften maximal 1.500 Tennisfans für Stimmung sorgen, wo dies im Vorjahr 9.000 taten. Kein Hexenkessel also, aber Dominic Thiem hat ja gezeigt, was er selbst vor gänzlich leeren Rängen zu leisten imstande ist.