Vater und Sohn
Vater und Sohn
blicken in die Zukunft

Ausblicke mit Matthias und Tristan Horx

Zwei Generationen, zwei Sichtweisen auf die Zukunft: Der erfahrene Trend- und Zukunftsforscher Matthias Horx (65) blickt mit Sohn und Junior-Futurist Tristan Horx (27) im schau-Talk auf die Veränderung der Welt durch das Corona-Virus.  

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Wenn zwei Generationen in die Zukunft blicken, sehen die dann unterschiedliche Szenarien für die kommenden Jahre?

Matthias Horx: Die Aspekte sind verschieden. Es könnte sein, dass Tristan einen Futurismus sieht, in dem alles auf künstliche Intelligenz und Hyper-Mega-Technik ausgerichtet ist. Ich selber bezeichne mich als humanistischen Futuristen, als jemanden, dem die Fragen der menschlichen und sozialen Beziehungen wichtig sind. Wenn wir da extrem weit auseinander wären, hätten wir ein Problem, das wäre natürlich auch ein interessantes Problem.

Tristan Horx: Es ist auch die Frage der zeitlichen Perspektive. Der Begriff, an dem ich schraube, ist im Deutschen bekannt als Posterität, im Englischen „posterity“, oder Enkelfähigkeit oder etwas enkelfit machen. Das erstreckt sich für jede Altersgruppe so weit in die Zukunft, dass sie das selbst nicht mehr miterlebt. Das heißt, wenn man diesen Zugang wählt, dann ist das das klassische Abbild, dass die ältere Generation nicht mehr so viel Zukunft vor sich hat und deswegen nicht mehr so weit schauen muss. Das ist dann der Zugang, den auch wir in unseren Forschungen und Diskussionen wählen. 

Was sich viele von uns für die Zukunft wünschen, ist ein Licht am Ende des Tunnels. Kann die Zukunftsforschung diesem Wunsch Rechnung tragen?

Matthias Horx: Das Licht am Ende des Tunnels kommt aus der christlichen Mystik. Wir sind in der Gegenwart und schauen uns die Wirklichkeit an. Diese Idee, dass die Corona-Krise das Schlimme und Verdorbene ist und danach kommt die Lichtzukunft, führt uns in die Irre, weil wir da eine große Enttäuschung erleben werden. Die Corona-Krise wird nicht aufhören im Sinne von, dass wir da wieder hinkommen, wo wir vorher waren. Das ist so ein Bild, das ich für gefährlich halte.

Und vorher war es auch nicht so toll, oder? Aber dass es besser wird, ist klar, das haben wir in der Geschichte schon oft gesehen. Weihnachten macht alles wieder auf, aber das heißt nicht, dass es auch vorbei ist. Im nächsten und übernächsten Jahr und noch in zehn Jahren werden wir merken, dass wir in einer Welt leben, in der es Viren und Bakterien gibt. Es ist besser, mit der Wirklichkeit umzugehen. Und damit umzugehen, ist, glaube ich, das innere Licht im Tunnel. 

Tristan Horx: Das Licht am Ende des Tunnel wird ja eigentlich assoziiert mit einer Todeserfahrung. So würde ich das aber auch nicht sehen, weil es darauf abzielt, dass es vorbei ist, Augen zu, und es ist alles wie früher. Dabei gibt es auch eine Menge Sachen zu lernen aus der Krise, die dann aber nicht ernst genommen werden, wenn man dauernd auf eine Erlösungsfantasie pocht. Wobei, momentan geht es in der Gesellschaft wieder voran, weil dieser Impfstoff da ist, weil zum ersten Mal sozusagen Progress gemacht wird.

Wir haben immer gesagt, anfangs haben wir  das Ganze mit sozialer Intelligenz und Empathie eingedämmt, um auf die technologische „Erlösung“ zu warten. Und die bahnt sich jetzt an, und somit fühlt es sich an, als hätten sozusagen der menschliche Fortschritt und die Ingenuität nicht nur auf sozialer Verhaltensebene, sondern auch auf technologischer, medizinischer und biologischer Ebene zum Fortschritt geführt. Und das fühlt sich gut an, weil man sich selber bis zu einem gewissen Grad auf die Schulter klopfen kann. Also wenn man Licht am Ende des Tunnels meint, dann vielleicht so.

Hat Sie diese Corona-Pandemie eigentlich überrascht?

Matthias Horx: Ja, in ihrer Ausformung. Aber die klassische Risikoforschung, das machen wir als Zukunftsforscher auch, hat schon seit Jahren gesagt, die Wahrscheinlichkeit, dass ein Komet die Erde trifft, liegt so bei 1:100.000 in den nächsten zehn Jahren, aber die Chance einer Pandemie war schon immer extrem hoch. Aber man kann natürlich nicht sagen, wann und wie genau. Mutation ist ja spontan, und das Ding ist ziemlich schlau geworden, das kann man so nicht voraussagen. Aber wir sind natürlich auf alles vorbereitet, das ist unser Job. Da kann uns der Himmel auf den Kopf fallen und wir werden immer noch sagen: Aha, interessant, haben wir auch so vorausgesehen! 

Sie sagen, diese Tiefenkrise hat Zukunftspotenzial. Was genau meinen Sie damit?

Matthias Horx: Es gibt verschiedene Arten von Krisen. Einige berühren uns nur am Rande, denken wir mal an ferne Kriege oder die Bankenkrise vor zehn Jahren. Das hat manche Leute beschäftigt und einige sind pleite gegangen, die Banken haben sich verändert. Aber das hat nicht wirklich unser Zivilisationsverständnis oder unser Selbstbild, wie und in welcher Welt wir leben, verändert.

Tiefenkrise heißt, dass alle unsere Weltbilder berührt sind: unser Alltag, wir können plötzlich nicht mehr alles machen, unsere Organisation, die Politik greift auf die Gesellschaft über. Wir fangen an, alles in Frage zu stellen, aber auch neu zu sehen. Und das ist der Sinn von Krisen. Wie bei einer klassischen Liebes- oder Berufskrise kann man entweder versuchen, das auszusitzen, aber das wird nicht funktionieren, oder man nutzt es zur Neuerfindung. Das ist eine Tiefenkrise und dadurch entsteht eigentlich immer Innovation. 

Tristan Horx: Man sieht sehr schön, wie sich eine Tiefenkrise in die Individuen hineinzieht. Das Fantastische, wenn man das so sagen darf, am ersten Lockdown war wirklich, dass fast über den gesamten Globus gleichzeitig alle mal auf den Pausenknopf gedrückt haben. Das führt natürlich zu einer inneren gesellschaftlichen Katharsis. Dazu gibt es nicht viele Umfragen, aber bei den wenigen vorhandenen sagen die meisten: Ich war überrascht, mit wie wenig ich auskomme.

Das muss man natürlich auch erst mal an der eigenen Haut erfahren, weil die überbeschleunigte Konsumwelt von vor Corona hat natürlich immer sehr stark darauf gesetzt, dass die Werbung uns einredet, dass wir das unbedingt brauchen, und man ist nie wirklich dazu gekommen, auch mal ohne zu leben. Ich glaube, die Erfahrung war gesamtgesellschaftlich sowie individuell gesehen kathartisch. Wie viele Leute haben austariert, das bräuchte ich für immer und ewig, und eigentlich war es dann doch gar nicht so wichtig. Das hat schon zu einer Verschiebung in den Individuen geführt, die dann einen Zeitgeistwandel in der Gesellschaft hervorbringen kann. 

Matthias Horx: 40 Prozent aller Deutschen sagen, dass sie in der Corona-Krise etwas Positives für sich gelernt haben, das sie auch beibehalten möchten. Das ist dieser Verblüffungseffekt. Es gibt natürlich auch die 20 bis 25 Prozent unter den Leuten, die – auf Österreischisch – extrem angefressen sind. Und dann gibt es noch ungefähr fünf bis zehn Prozent, die es überhaupt nicht aushalten und dann irgendwelche wilden Verschwörungstheorien auspacken und so eine Art Warnreaktion haben. Auch in vielen Unternehmen haben sich Schwachstellen gezeigt und manche Firmen werden nicht überleben. Das tut weh, Krisen tun immer weh, aber sie haben immer auch Erneuerungscharakter, wenn man sie annimmt.

Derzeit ist der neue Zukunftsreport im Entstehen. Welche großen Trends zeichnen sich ab?

Matthias Horx: Das ist nicht immer so ganz einfach. Uns interessieren Entwicklungen, die wir schon vorher gesehen haben, die aber wenig Gehör bekommen haben. Wir haben zum Beispiel eine Umdrehung der Stadt-Land-Dynamik prognostiziert und progressive Provinz oder Reurbanisierung genannt. Das Land wird wieder attraktiv und auch die Metropolisierung ist vorbei, die Menschen ziehen in Zukunft nicht mehr so in die Ballungszentren, sondern suchen nach anderen Lebensstilen.

Aber auch die neue Weltunordnung ist ein großes Thema. Corona hat ja vieles durcheinandergewirbelt, letzten Endes hat der amerikanische Präsident, der vorhergehende, noch nicht ganz vorhergegangene, die Wahl verloren, auch dadurch, dass er diesen Ignoranzkurs gefahren hat, das hat schon den Ausschlag gegeben. Und jetzt entstehen natürlich ganz neue Weltverhältnisse als das, was wir gewohnt sind.

China hat einen Riesenaufschwung, weil es Corona so gut hinbekommen hat. Alles wirbelt durcheinander und der Zukunftsreport 2021 ist der Versuch, darzustellen, wie diese neue Weltunordnung sich formt. Auch die Digitalisierung ist ein Punkt, denn wir haben einerseits viele digitale Schübe erlebt, in Schulen und am Eventsektor, andererseits macht das natürlich die Sehnsucht nach dem Analogen umso größer. Und wie wird sich das zu neuen Hybriden formen? Ich glaube, der Begriff des Hybriden wird eine ganz große Wichtigkeit haben. 

Tristan Horx: Wie wird die Generation Corona? Es gibt ja verschiedene Begriffe dafür, zum Beispiel Coronial. Wie wird es denen gehen, die jetzt geboren werden? Die werden 2040 ins junge Erwachsenenalter kommen, wo sie so richtig in die Gesellschaft eintauchen. Die große Frage ist, ob die sozusagen Vorteile durch all das Leiden und die Schwierigkeiten, aber auch die Lerneffekte von Corona haben werden. Man muss auch sagen, 2040, da haben wir noch zehn Jahre bis zur Klimakrise, und da wird sich zeigen, ob wir das geschafft und als Gesellschaft etwas gelernt haben. Wie wird es dieser Generation gehen, was wird diese Generation erleben? Das ist natürlich fantastisch, weil die Generation Z, die jüngste Generation, seit 20, 25 Jahren existiert, daher ist es sowieso Zeit für einen Generationswechsel gewesen, und da hilft Corona, um eine neue Generation zu definieren.

Viele sagen, Corona wird uns nie wieder verlassen. Hat das Thema ein Fixkapitel in den Zukunftsreports der kommenden Jahrzehnte?

Tristan Horx: Viel spannender sind ja die Effekte, die es gab, die nicht mit dem C-Wort beginnen. Laut allen Medizinern ist das ein relativ „langweiliges“ Virus. Das Post-Corona-Zeitalter ist viel interessanter als das ewige Corona-Gerede. 

Matthias Horx: Das war früher ja auch so, in meiner Kindheit gab’s noch Kinderlähmung, ich hatte Freunde, die konnten sich plötzlich nicht mehr bewegen, und zwar lebenslang. Und das war selbstverständlich. Aber deshalb haben die Leute nicht endlos Angst vor Kinderlähmung. Da gibt’s Routinisierung. Aber was man sehen kann, ist, dass die Werte verschoben werden, zum Beispiel die Frage von unserem Naturverhältnis und der Nachhaltigkeit.

Corona deutet doch hin auf die wirklich große Krise dieser Epoche, die vor uns liegt: Global Warming. Und wenn wir es schaffen, das Virus mit Technik und sozialem Verhalten einzudämmen, warum können wir dann nicht die globale Erhitzung eindämmen? Das wird sich jeder fragen und da spielt sicherlich das Generationsverhältnis eine Rolle.

Tristan Horx: Diese Illusion, dass wir unser Verhalten nicht verändern können, um eine Krise abzuwenden, ist gebrochen.

Was kann ein junger Mensch aus euren Forschungen mitnehmen. Was kann jede und jeder Einzelne für sich daraus ableiten?

Tristan Horx: Momentan ist das, was vor allem die jungen Leute beschäftigt, das Thema Arbeitsmarkt, Sicherheit am Arbeitsmarkt, Pension und Generationsvertrag. Auch wenn der Jobmarkt gerade wirklich blöd ausschaut, man kriegt derzeit nicht einmal mehr ein unbezahltes Praktikum, kommt momentan eine New-Work-Kultur auf, sprich Homeoffice, fluides Arbeiten, wofür wir geschaffen sind, und diese digitale Affinität. Und die jüngsten sind derzeit die mit dem besten digitalen Bullshit-Filter, sie sind digital am affinsten und sehr gut informiert und erzogen.

Das soll heißen, momentan schaut es schlecht aus, aber diese Jungen haben am Arbeitsmarkt von morgen verdammt gute Karten. Momentan halten die Unternehmen an den alten Arbeitskräften fest und setzen auf das, was sie kennen. Aber in ein, zwei Jahren wird es wahrscheinlich losgehen, da wird man merken, wir müssen einen Generationswechsel reinbringen, um uns an diesem neuen Arbeitsmarkt oder diese neue Arbeitsrealität anzupassen. Und auf diese Zeit muss man vorbereitet sein, da muss man dann zubeißen und darf sich nicht unter seinem Wert verkaufen. Das wäre auch ein Appell: Bereit sein! Momentan schaut’s beruflich echt schwierig aus, aber die Zeit wird kommen. 

Matthias Horx: Wir wissen, dass sowohl politische Maßstäbe wie Links und Rechts als auch die Generationen nicht mehr so wie früher funktionieren. Es gibt sehr viele früh vergreiste Jüngere, aber auch sehr junge Alte, und insofern sind das immer auch Konstruktionen, mit denen man arbeiten kann. Aber ich würde mich nicht trauen, das auf diese Art und Weise zu pauschalisieren.

Es gab jetzt viele Ältere, die in dieser Krise ihre Frustration nochmal verstärkt haben, aber es gab auch einen massiven Gegenimpuls, eine Ermutigung und letzten Endes das Selbstvertrauen, dass man auch mit Krisen umgehen kann. Wenn man Krisen übersteht und nicht nur übersteht, sondern in ihnen aktiv Wandlung vollzieht, dann entstehen auch Zuversicht, Mut und Euphorie. Das sehen wir immer wieder, wenn eine schwierige Zeit überstanden ist, geht es auch wieder freier.

Was wird Positives von der Corona-Krise bleiben?

Tristan Horx: Ich würde sagen, es wird auf jeden Fall eine Verschiebung bei Konsum und Wahrnehmung von Konsum geben – Qualität statt Quantität. Ich glaube, das ist eine der zentralen Sachen, die den Leuten jetzt bewusst geworden sind. 

Matthias Horx: So würde ich es auch ausdrücken. Auch die eigene Zeit wieder in Besitz nehmen. Also wir waren ja im alten Normalen sehr hin- und hergeschleudert, oft gestresst. Und diese Zwangspausen, die uns verordnet worden sind, die hatten manchmal den Effekt, dass viele Menschen sich gefragt haben: Wie will ich eigentlich leben? Will ich eigentlich dieses ganze Gerenne und Gehetze? Sind meine Beziehungen auch im Nahbereich viel wichtiger, als ich sie bislang hingenommen hab?

Diese Art von Wandlungshinweis, letzten Endes gibt uns auch die Krise einen Wandlungshinweis, das ist das, was Fortschritt macht. Das können natürlich nicht alle, aber ich glaube, dass sich hier neue Mehrheiten bilden, die konstruktiver mit der Umwelt, mit ihrem eigenen Leben, mit ihrem Verhalten umgehen wollen. Und diese kostbaren Momente von Nähe, von gelungenem Leben, die es in so einer Krise auch gibt, die wollen wir fortführen.

Vielen Dank für das Gespräch.