WOLGA am Petersplatz
Nach der lockdownbedingten zweimaligen Verschiebung der geplanten Premierentermine (im November 2020 bzw. April 2021) findet die Uraufführung von WOLGA nun im Februar 2022 statt.
Meterhohe Comiczeichnungen im Pulp-Stil formen sich zu einem Wald, aus dem es kein Entrinnen gibt. Zwei Performer*innen ringen mit den Bildern, die sie nicht mehr loslassen, die immer da sind und kursieren, in einem und um einen herum. Im Zentrum des Ganzen: der Wolga, das Auto. Angelockt durch die ständig darum kreisenden Gedanken fährt er vor, verfolgt die Performer*innen, und sie verfolgen seine Spur in ihren Köpfen. Er wird minutiös untersucht, mit Blut gewaschen, mit Popsongs und Kunstliedern beschworen und gehuldigt.
In sozialistischen Staaten der 1960er und 70er Jahre, etwa in Polen oder Rumänien, kursierte die Legende von der schwarzen Wolga-Limousine: Priester, Satanist*innen, Vampire sollen darin Kinder entführt haben, um ihr Blut an reiche Deutsche zu verkaufen. Ausgehend von diesem urbanen Mythos schafft Rohe Eier 3000 mit WOLGA ein multimediales Horrorszenario aus der grellen Ästhetik von Giallo-Filmen, zweidimensionaler Comicwelt, Live-Musik von Ricaletto plus performativem Spiel und Gesang.
- 23., 26., 27. Februar & 3., 4. März
- Werk X-Petersplatz
- Infos & Tickets
Rohe Eier 3000
Das Bühnen- und Performancekollektiv aus Wien und Leipzig verzichtet bewusst auf eine einzelne Regieinstanz, um hierarchisierten Arbeitsprozessen innerhalb des Theaterbetriebs produktiv entgegenzutreten und seine Inszenierungen kollektiv zu erarbeiten. Es besteht in der Grundform aus dem Autor Stephan Langer, der Dramaturgin Alba Talamo, dem Schauspieler Roman S. Pauls und dem bildenden Künstler/Musiker Ricaletto.
Zu WOLGA
Die Arbeit an WOLGA hat mit Bildern begonnen. Ricaletto hat mir von der Geschichte erzählt, die in sozialistischen Staaten der 1960er und 70er Jahre im Umlauf war: in schwarzen Wolgas mit gestickten Vorhängen werden Kinder entführt. Eine makabre Urban Legend – der Horror sitzt in einer gehobenen Limousine, die auch der KGB verwendete, und hält dezent am Straßenrand. Ricaletto und Crippa Almqvist haben begonnen, zusammen einen Comic zu der Thematik zu zeichnen, der bei der Premiere sein Release feiern wird. Darin enthalten sind fünf großformatige Bilder, auf deren Basis ich den Text geschrieben habe. Die Poster sind in einer Pulp- und Giallo-Ästhetik gehalten und auch im Bühnenbild von Artemiy Shokin zu sehen. Die Arbeits- und Denkprozesse zu Text und Bühne sind parallel verlaufen.
Interessant an der Inszenierung ist es, ein Auto als eine Art geheimen Protagonisten ins Zentrum zu stellen: das Geschehen auf der Bühne geht vom Wolga aus, wird von ihm kontrolliert. Zwei Spielende nehmen Positionen zum Geschehenen ein – der Text bietet keine durchgängigen Figurenperspektiven, sondern beleuchtet Vorbereitung, Durchführung und psychologische Folgen der Entführung und verfremdet sie. Was bleibt hängen? Welche Bilder macht man sich von belastenden Geschehnissen, von denen man nicht alle Fakten weiß – welche Rolle spielen dabei Medien wie (Horror)Filme und Songs? Wie vermischen sich Bekanntes wie Popsongtexte und Unbekanntes wie Ängste?
Welche Emotionen entstehen daraus? Wie damit umgehen, wenn das Szenario im Kopf eine groteske Eigendynamik entwickelt? Am Ende bleibt die Frage: Wer hat den Wolga gefahren – was sind das für Menschen? Oder sind es womöglich Vampire, die an Blut interessiert sind und den Kindern die Zukunft stehlen? Vielleicht sogar: Wie hängt eine gestohlene Zukunft mit dem Ende des Kommunismus und dem Übergang in den real existierenden Kapitalismus zusammen?
Stephan Langer, Autor von WOLGA und Co-Regie