Stealing the Stolen – Donaufestival 2022
„Stealing the Stolen“ ist das Motto des Donaufestival 2022. Vom 29. April bis 1. Mai und vom 6. bis 8. Mai in Krems an der Donau.
An zwei verlängerten Wochenenden im Spätfrühling versetzt das donaufestival die kleine Stadt Krems an der Donau in einen Ausnahmezustand. Das einzigartige Festivalformat präsentiert abenteuerliche Ästhetiken und Vibrationen zwischen Musik, Performance, Bildender Kunst, Film und Diskurs. An sechs dichtprogrammierten Tagen lassen sich mit Tages- oder Mehrtagespässen an die 20 Veranstaltungen pro Tag an vielen unterschiedlichen Orten entlang der Kunstmeile Krems erleben: vom Minoritenplatz in Stein über den Museumsplatz bis zum Kino beim Kesselhaus am Campus Krems, vom zentral am Stadtpark gelegenen Messegelände bis zum Dominikanerplatz. Ganz Krems wird so zu einem national wie international vielbeachteten, pulsierenden Hotspot für Gegenwartskunst jenseits aller Genregrenzen.
- 29. 4.–1. 5. und 6.–8. 5.
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Stealing the Stolen – Donaufestival 2022
Kulturelle Aneignung ist Diebstahl, heißt es im antirassistischen Diskurs. Jäger*innen des Neuen und unbedachte Multikulti-Fans plündern in neokolonialer Manier marginalisierte Kulturen, um eigene Lebensstile oder Werke zu bereichern. Sei es durch Rastazöpfe auf weißen Köpfen, Twerking-Importe in Popvideos oder die Einverleibung indigener Traditionen. Beklagt und geächtet wird in der Regel eine westlich-hegemoniale Popkultur, die kulturelle Ressourcen aus dem globalen Süden zu Warenfetischen degradiert, sich nicht um Zugehörigkeiten kümmert und Kulturen oder Autor*innen nicht den gebührenden Respekt zollt – geschweige denn einen angemessenen Preis dafür bezahlt.
Diese Kritik an der Cultural Appropriation leuchtet intuitiv ein. Nichtdestotrotz hieß es auch einmal: Nicht die Aneignung, sondern Eigentum ist Diebstahl. Demzufolge steht Aneignung in der historischen Appropriation Art im Museum wie auch in der heutigen Popkultur für eine Praxis, die sich gegen als unangemessen oder überkommen empfundene Besitzstände zur Wehr setzt, die Samples, Remixe, Versioning, Copyrightpiraterien, kollektive Autor*innenschaften, Copy & Paste- Verfahren und Memekulturen feiert und die Scheidung von Fremdem und Eigenem nachhaltig irritiert.
Der Festivaltitel „Stealing the Stolen“ ruft den Umstand in Erinnerung, dass es keine Essenz von Kultur gibt – und somit auch keine Entwicklung ohne (Wieder-)Aneignungsprozesse von Nicht-Zugehörigem, Verlorenem oder zuvor schlicht nicht Verfügbarem. Alles bleibt anders, immer schon. Counter Appropriations, also Gegenaneignungen und Wiederaneignungen, könnten sich in einer befreienden Praxis „von unten und anderswo“ finden, die sich jenseits der Vorstellung von Besitz und Diebstahl bewegt. Stealing the Stolen vertraut auf die Kraft von Gegenaneignungen – gegen hegemoniale Formen und für neue Verbindungen. Das Programm will nicht stehlen, sondern bereichern und Inspirationen statt Ächtungen bezeugen. (Thomas Edlinger / Artistic Director donaufestival)
Zum Programm
Der tunesische Musiker AMMAR 808 kreuzt südindische Musik mit den Beats der Drum Machine Roland TR 808. Fehler Kuti will nicht einfach eine Kopie des berühmten nigerianischen Musikers Fela Kuti sein, sondern singt lieber auf Denglish von „The Price Of Teilhabe“. Soap&Skin schlüpft in sheep ́s clothing und reinterpretiert die Musik anderer. Der von der Simulationstheorie Jean Baudrillard inspirierte Elektronikproduzent Aho Ssan präsentiert die Premiere des donaufestival- Auftragswerks Rhizomes. Slikback & Weirdcore zeigen eine vom donaufestival coproduzierte AV- Show.
Les Filles de Illighadad, ein Frauentrio rund um Fatou Seidi Ghali, der vielleicht ersten Touareg— Gitarristin und Bandleaderin überhaupt, bemächtigt sich psychedelischer Sounds. Acts wie Jehnny Beth, Arca, Shabazz Palaces, Tirzah, 700 Bliss, The Caretaker, MC Yallah & Debmaster, Space Africa, Helm, The Bug & Dis Fig, JASSS & Ben Kreukniet, William Basinski ,75 Dollar Bill, Tara Nome Doyle, UMFANG, DJ Lag, Midori Takada, Raja Kirik, , Mantana Roberts & Jessica Moss Galya, Sarathy Korwar und Galya Bisengalieva spannen weite Bögen zwischen Ost und West, Norden und Süden, Tracks und Songs, Beats und Drones, Jazz und Komposition.
In Anlehnung an David Lynch verwandelt sich in Ariel Efraim Ashbels Weltpremiere Fire Walk With Me die imposante Dominikanerkirche in eine Twilightzone zwischen Horror und Comedy. Ula Sickle erzählt in dem technoschamanistischen Ritual The Sadness vom Einzug der Depression in den Rap. Der Künstler und Musiker Julian Warner widmet sich in der Installation The Kriegsspiel in der Kunsthalle Krems, die am 30.4. und 1.5. von ihm auch performativ aktiviert wird, den Aneignungen und Auslegungsweisen der Kriegsmetaphorik vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine bzw. der Pandemiebekämpfung. Elisabeth Tambwe votiert in einer Performance-Lecture für Die Revolution des Croissants. Nomcebisi Moyikwa fragt in ihrer verstörenden Performance Somewhere Me nach den Bedingungen eines Lebens in einer „unbewohnbaren“, durch Rassismus gekennzeichneten Welt, während die Kids of the Diaspora die Kolonialgeschichte des Rums in Barthekengesprächen erkunden. Das Kollektiv Mapa Teatro zeigt das Video „La Balsada“ über ein karnevaleskes Fest in Kolumbien voller spielerischer Gewalt, in dem Peitschen in den Händen der Nachfahren von Sklav*innen knallen. Diskutant*innen wie Hans Nieswandt und Larisa Kingston Mann reflektieren den Status von riddims, disco edits und die jamaikanische Vorstellung einer „rude citizenship“. Ein Research Lab im Forum Frohner schließlich nimmt den Faden des Festivalmottos Stealing the Stolen und widmet sich schließlich während der gesamten Festivalzeit unter dem Titel What ́s left to steal? der Frage: Wie lässt sich koloniale und kapitalistische Ausbeutung und Extraktion verhindern oder gar ausgleichen, umkehren?
READER 2022
Begleitend zum Festival-Programm erscheint auch wieder ein gedruckter Reader mit Essays zum diesjährigen donaufestival-Thema „Stealing the Stolen“.
Der im Verlag für moderne Kunst erscheinende Band lotet die Möglichkeiten von (Wieder-) Aneignungsprozessen von Nicht-Zugehörigem oder nie Zugestandenem aus – in der Kunst, in der Musik und im Alltag. Mit Beiträgen von Jens Balzer, Karl Bruckmaier, Diedrich Diederichsen, Thomas Edlinger, Christian Höller, Larisa Kingston Mann, Larisa Kingston Mann & Boima Tucker, Kalpana R. Seshadri, ruangrupa, Nora Sternfeld und Yvonne Volkart.
- 29. 4.–1. 5. und 6.–8. 5.
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