„Rozznjogd“ im Rabenhof
Das ehemalige Skandalstück „Rozznjogd“ von Peter Turrini wird 50 Jahre nach der Uraufführung im Rabenhoftheater gespielt.
Was war das für ein Skandal. Damals 1971. Im Wiener Volkstheater kam Peter Turrinis erstes Stück zur Uraufführung: „Rozznjogd“. Es spielten Franz Morak und Dolores Schmidinger. Die Handlung ist schnell erzählt: „Er“ und „Sie“ kennen sich flüchtig aus dem Betrieb. Auf dem Schrottplatz wollen sie sich ein bisschen beschnuppern. Erotisch. „Er“ erschießt eine Ratte – und findet das mindestens so männlich wie sein Auto. „Sie“ hat sich eigentlich für ein Rendezvous herausgeputzt, ist etwas irritiert – und macht trotzdem mit. Letztlich entsorgen sie, also „Sie“ und „Er“, alles, was sie, also „Ihn“ und „Sie“, ankotzt oder ihr Dasein in ein Korsett zwängt. Turrini nannte „Rozznjogd“ ein Wutstück.
Und die Wut, die sich auf der Bühne Bahn brach, wurde aus dem Publikumsraum zurückgeschleudert. „Auspeitschen sollte man Sie!“, empfahl ein zürnender Wutbürger dem jungen Autor vom Parkett aus. Jubel war nur von der Galerie zu vernehmen. Von den billigen Plätzen.
Seither mauserte sich „Rozznjogd“ zum vielgespielten Klassiker eines neuen, grimmig gesellschafts- und kapitalismuskritischen Volkstheaters. Und Turrini mauserte vom „angry young man“ der neueren österreichischen Dramatik ohne verwitzelten Weichzeichner zum hochgeachteten Großschriftsteller.
Peter Turrinis Wutstück – ein verzweifelter Selbstreinigungsprozess, eine Entblößung, eine radikalisierte Publikumsbeschimpfung – kommt anlässlich des Jubiläumsjahres der Uraufführung auf die Bühne des Gemeindebautheaters.
Inhalt „Rozznjogd“
Eine Müllhalde am Stadtrand. ER und SIE. Es ist Nacht. Flüchtige Arbeitskollegen, die sich jenseits der Kantine erotisch ein bisschen beschnuppern wollen. Vor dem Schmusen will ER ihr imponieren. Eine Ratte, die im Mist herumspringt, knallt er vor ihren Augen ab. Hier, mitten im Dreck der zivilisierten Welt, spürt ER die Freiheit. Das Wichtigste in seinem Leben ist sein Auto, das hat ER selber auseinandergenommen und wieder zusammengebastelt. Menschen gegenüber ist ER misstrauischer, die kann ER nicht zerlegen. SIE ist irritiert. Ein bisschen anders hat SIE sich das Rendezvous schon vorgestellt. Immerhin hat SIE sich herausgeputzt. Doch ER will mehr als fummeln und vögeln. ER fordert die totale Demaskierung, damit ER ihr so nahekommt wie seinem Auto. Damit ER das, was unter ihrer Karosserie ist, in die Hand nehmen kann. SIE spielt mit. Aber nur, wenn ER seine dekorativen Ersatzteile auch entsorgt. Weg mit dem Toupet! Ein Striptease der besonderen Art steigert sich im ekstatischen Spiel zum körperlichen Entsorgungsrausch. Und dann? Liebe? Ein Schuss fällt …
Premiere: 22. September 2021
weitere Termine: 2. Oktober 2021 / 7. Oktober 2021 / 28. Oktober 2021 / 4. November 2021
Mit Sophie Aujesky und Josef Ellers
Regie: Werner Sobotka
Peter Turrini
Peter Turrini ist der Sohn des italienischen Kunsttischlers Ernesto Turrini und der steirischen Hausangestellten Else Turrini, geborene Reßler. Er wuchs in Maria Saal in Kärnten auf. Über den Tonhof der Sängerin Maja Weis-Ostborn und des Komponisten Gerhard Lampersberg kam er früh in Kontakt mit Vertretern der Wiener Avantgarde. Von 1963 bis 1971 war er in verschiedenen Berufen tätig, unter anderem als Magazineur bei Huber-Trikot, als Werbetexter bei einer amerikanischen Agentur, als Hotelsekretär in Bibione, als Hilfsarbeiter in Neuwied am Rhein. 1967/68 lebte er auf Rhodos. Seit 1971 lebt er als freier Schriftsteller. 2005 wurde er zum korrespondierenden Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung gewählt.
Sein derzeitiger Wohnort ist Kleinriedenthal bei Retz. Er schreibt Theaterstücke, Drehbücher, Gedichte, Aufsätze und Reden. Seine Werke wurden in viele Sprachen übersetzt, seine Theaterstücke werden weltweit gespielt.
Peter Turrini wurde durch Rozznjogd (1971), Sauschlachten (1972) und die Fernsehserie Alpensaga (1974–1979) bekannt. In seinen ersten beiden Werken verwendete er Dialekt, in den Minderleistern aber eine kunstvolle „hohe“ Sprache. Turrini beteiligte sich an unzähligen Autorenlesungen; so auch des Öfteren am Linken Wort, einer Autorenlesung mit politischen Akzenten, die im Rahmen des jährlichen Volksstimmefests durchgeführt wurde. Gemeinsam mit Helmut Qualtinger und H. C. Artmann machte er eine mehrwöchige Lesetournee an amerikanischen Universitäten. Peter Turrini ist Mitglied der Grazer Autorenversammlung. Im Vorfeld der Besetzung der Hainburger Au 1984 war Turrini einer der Teilnehmer der Pressekonferenz der Tiere und trat dabei als „Rotbauchunke“ auf.
Bis heute gibt es von ihm sechsunddreißig Theaterstücke, drei Opernlibretti, fünfundfünfzig Buchausgaben, vierzehn verfilmte Drehbücher, siebzehn Hörspiele sowie Sprechplatten und CDs.